T 01
Erste
Temperatur Marpurg - Kirnbergerische Temperatur, 1766
Friedrich Wilhelm Marpurg (1790): "Erste Temperatur, welche aus 10 reinen und 2 alterirten Quinten besteht. Die beyden alterirten Quinten sind d:a von 11/12 und fis:cis von 1/12 des pythagoreischen Kommas ... Es ist die bekannte Kirnbergersche ..."
Nach der Beschreibung von zwei Stimm-Verfahren wird eine Tabelle für alle zwölf Tonstufen von C bis c aufgelistet "Die Logarithmen dieser Temperatur sind wie folget: ...".
gegebene Tonlogarithmen, dazu die umgerechneten Cent-Zahlen:
c = 5.0000000
1200.000 Cent
h = 5.0280286
1088.270 Cent
b = 5.0511526
996.090 Cent
a = 5.0791813
884.360 Cent
gis = 5.1023052
792.180 Cent
g = 5.1249387
701.955 Cent
fis = 5.1529674
590.225 Cent
f = 5.1760913
498.045 Cent
e = 5.2041200
386.315 Cent
dis = 5.2272439
294.135 Cent
d = 5.2498774
203.910 Cent
cis = 5.2783965
90.225 Cent
C = 5.3010300
0.000 Cent
Bei Marpurg wird für diese musikalische Temperatur das pythagoreische Komma (pK) mit dem Intervallquotienten 312/219, welches zur Schließung des Quintenzirkels kompensiert werden muss, auf zwei Quinten des Zirkels im Verhältnis 11 zu 1 aufgeteilt.
Die Quinte fis/ges-cis/des ist um 1/12 des pK vermindert [3/2 : (312/219)] und hat damit die Größe der temperierten Quinte 27/12 (siehe T 31), das sind umgerechnet genau 700 Cent in der Skala, in der gleiche Tonintervalle unabhängig von Tonfrequenz in der Oktave gleichgroß sind.
Zu der anderen verminderten Quinte schreibt Marpurg (Seite 36): „Das Kirnbergersche d-a ist unerträglich, da es von 3/2 weit entfernt ist.“
Diese Quinte ist um 11/12 des pK vermindert [3/2 : (312/219)11/12] und hat damit die Größe 216x25/12/310, umgerechnet 680.450 Cent. Marpurg bezeichnet dieses Quint-Intervall als "harmonische Ration, den berühmten Lambert" mit dem Hinweis: "Man sehe desselben Gedanken über die musikalische Temperatur in meinen histor. krit. Beyträgen, Vter Band, 6tes Stück".
Bei Kirnberger wird das pythagoreische Komma aufgeteilt in „syntonisches Komma“ (sK) mit dem Intervallquotienten 81/80 und „Schisma“ (5x38/215).
Die Quinte fis/ges-cis/des ist um das sK vermindert [3/2 : 5x38/215] und hat damit die Größe der temperierten Quinte 214/5x37, das sind umgerechnet 700.00128 Cent in der Skala, in der gleiche Tonintervalle unabhängig von Tonfrequenz in der Oktave gleichgroß sind.
Das „Kirnbergersche d-a“ ist die um das sK verminderte Quinte [3/2 : 81/80] und hat damit die Größe 40/27, umgerechnet 680.44872 Cent.
Der Unterschied zwischen den Größen der um 1/12 pK und der um das „Schisma“-Intervall verminderten Quinte bzw. der Kirnberger d-a- und der um 11/12 pK geminderten Quinte beträgt 0.00128 Cent, bei der Aufteilung des pythagoreischen Kommas zur Verminderung zweier Quinten werden zwei unterschiedliche Prinzipien verwendet.
Grahpisch sind die Unterschiede wegen der geringen Differenzen im üblichen Maßstab nicht mehr darstellbar, musikalisch liegen sie weit unter der Hörbarkeitsschwelle.
Mit der Teilung des „pythagoreischen Kommas“ in „syntonisches Komma“ (81/80) und „Schisma“ (32805/32768) werden alle bei Marpurg entstehenden irrationalen Wurzelzahlen (Wurzel aus ...) rechnerisch durch eine Rationalisierung der Zahlen ersetzt: In Zählern und Nennern der Intervallquotienten kommen nun nur ganze rationale Zahlen vor .
Der Aufbau der Temperatur mit den Tonstufen in chromatischer Folge benutzt dieselben Intervallquotienten wie die „Erlangener Teilungsvorschrift“ (siehe T 80), „Ramis de Pareia“ (siehe T 107) und „Martin Agricola“ (siehe T 119).
Die rationalisierte „Erste
Temperatur Marpurg“, die Kirnbergersche Temperatur, 1766
Verteilung des pK
(23.460 Cent)
Verteilung des pK im Quintenzirkel
f - 00.000 c
3/2 . 3/2
b - 00.000 f
.
.
es -
00.000 b
3/2
c
3/2
as - 00.000 es
f
g
des - 00.000 as
.
.
fis - 01.954 des
b d
h
- 00.000 fis 3/2
- sK
e - 00.000 h
. es + a .
a - 00.000 e
d
- 21.506 a
3/2 as
e
3/2
g - 00.000 d
.
.
c - 00.000 g
des h
____________________
3/2 fis 3/2
.
.
- 23.460
.
- Schisma 3/2
Quinten
Quarten Großterzen
Kleinterzen
f 701.955 c 498.045 f 386.314 a 315.641 c
b 701.955 f 498.045 b 407.820 d 294.135 f
es 701.955 b 498.045 es 407.820 g 294.135 b
as
701.955
es 498.045 as 407.820 c 294.135 es
des 701.955 as 498.045 des 407.820 f 294.135 as
fis 700.001 des 499.999 fis 405.866 b 294.135 ges
h 701.955 fis 498.045 h 405.866 es 296.089 fis
e
701.955
h
498.045
e
405.866
as 296.089 h
a 701.955 e 498.045 a 405.866 des 296.089 e
d 680.449 a 519.551 d 386.314 fis 294.135 a
g 701.955 d 498.045 g 386.314 h 315.641 d
c
701.955
g
498.045
c
386.314
e 315.641 g
Intervallbezeichnung Quotient Dezimalwert Centwert
Frequenzbeispiel
Oktave
2/1
2.0
1200.000
c
528.0 Hz
große Septime
15/8
1.875 1088.269 h 495.0 Hz
kleine
Septime
16/9
1.7777778
996.090
b
469.3 Hz
große
Sexte 5/3
1.6666667
884.359
a
440.0 Hz
kleine Sexte
128/81
1.5802469
792.180 gis/as 417.2 Hz
Quinte
3/2
1.5
701.955 g 396.0 Hz
Tritonus
45/32
1.40625 590.224 fis/ges 371.3 Hz
Quarte
4/3
1.3333333
498.045
f
352.0 Hz
große
Terz
5/4
1.25 386.314 e 330.0 Hz
kleine Terz 32/27 1.1851852 294.135 dis/es 312.9 Hz
Ganzton
9/8
1.125
203.910
d
297.0 Hz
Halbton
256/243
1.0534979
90.225 cis/des 278.1 Hz
Grundton
1/1
1.0
0.000
c
264.0 Hz
In chromatischer Folge
werden
In derReihenfolge des
zum Aufbau der Temperatur
als
Quintenzirkels wird die
Intervallquotienten
verwendet: Temperatur
so aufgebaut:
Apotome -1287/2048 - 113.685 cent
diat Halbton - 16/15 - 111.731
cent
gr. Chroma - 135/128 - 92.179 cent 32805/32768 (Schisma)
Leimma -
256/243 - 90.225 cent
81/80 (syntonisches Komma)
15/8 x 16/15 = 2/1 (c) 4/3 x 3/2 : 2 = 1/1 (c)
16/9 x 135/128
= 15/8 (h) 16/9 x 3/2 : 2 = 4/3 (f)
5/3 x 16/15 =
16/9
(b)
32/27 x 3/2
= 16/9 (b)
128/81 x
135/128 = 5/3 (a) 128/81 x 3/2 : 2 = 32/27 (es)
3/2 x
256/243 = 128/81 gis) 256/243x 3/2
= 128/81 (gis)
45/32 x 16/15 = 3/2 (g) 45/32 x 3/2 : 32805/32768 : 2 = 256/243 (cis)
4/3
x 135/128 = 45/32
(fis)
15/8 x 3/2 : 2 = 45/32 (fis)
5/4 x 16/15 = 4/3 (f) 5/4 x 3/2
= 15/8 (h)
32/27 x 135/128 =
5/4
(e)
5/3 x 3/2 : 2 = 5/4 (e)
9/8 x 256/243
= 32/27 (es) 9/8 x 3/2 : 81/80 = 5/3 (a)
256/243 x 2187/2048 = 9/8 (d) 3/2 x 3/2 : 2 = 9/8 (d)
1/1
x 256/243 = 256/243
(cis) 1/1 x 3/2
= 3/2 (g)
Weitere Fundstellen in der Literatur:
LANGE (1968) schreibt (Seite 486) unter der
Überschrift „Die Kirnberger-Stimmung“:
„Die pythagoreische (40/27)-Quinte mit 680.449 Cents wird ... nach D-A, und die
mit 700.001 Cents nahezu temperierte Quinte ... nach Fis-Cis verlegt“ und zum
Vergleich von musikalischen Temperaturen in einem anderen Zusammenhang:
"Das ist wahrlich keine Meisterleistung, denn der heulende Wolf, schon bei
Schlick fast gezähmt, wurde 250 Jahre später wieder wild." (Seite 486)
Dieses „Manko“ sollte die 2.Fassung der Kirnberger-Stimmung beseitigen (siehe T 24).
VOGEL (1975) zitiert eine Stimmanweisung aus den „Clavierübungen“ von Johann Philipp Kirnberger (1766) und erklärt dazu: „Seine Stimmung ist nicht eigentlich eine Temperierung, sondern ein Auswahlsystem“ und gibt folgende Auswahl aus dem Tonnetz reiner Quinten und Terzen:
a - e
- h - fis
! ! ! !
des - as - es -
b - f
- c -
g - d
TESSMER (1994) hat nach dem Vorbild Kirnbergers eine Tabelle für die Temperatur "Johann Philipp Kirnbergers 1. Stimmung (1766)" mit auf eine Dezimalstelle gerundeten Cent-Zahlen so eingerichtet, dass „sämtliche in einer 12stufigen Oktavteilung möglichen Intervalle ohne weitere Rechnungen sofort ablesbar“ sind (Seite 198). Außerdem sind in einer Kopfleiste die Kommaverteilung und die Lage der Quinten mit genauen Cent-Zahlen angegeben.
In einer Kopfzeile hat er vor seiner Tabelle zu "Johann Philipp Kirnbergers 1.Stimmung (1766)" die Kommaverteilung und die Lage der Quinten mit genauen Cent-Zahlen so angegeben: "Die Quinte D-A ist um ein syntonisches Komma verkleinert (680.449 C), die Quinte Fis:cis ist um ein Schisma verkleinert (700.001 C), die übrigen Quinten sind rein" (Seite 198).
VOGEL zitiert auf Seite 232 folgende Stimmanweisung, die Johann Philipp Kirnberger 1766 gab: "Man fange mit cis an, und stimme folgende Quinten nacheinander rein: cis-gis, gis-dis, dis-b, b-f, f-c, c-g, g-d und die Oktave d. Die unter sich schwebende Quinte von d erhält man, wenn man von f die große Terz a rein stimmt. Man fährt mit reinen Quinten fort, nemlich a-e, e-h, h-fis und die Oktave fis-fis. Die letzte Quinte fis-cis wird so gelassen, wie sie schon da ist, und diese ist die zweyte unter sich schwebende Quinte." Die Großterzen-Tabelle zu T 01 zeigt, daß außer f-a auch die Terzen c-e, g-h und d-fis mit dem 5/4-Quotienten bzw. 386.315 cent rein sind.
MEISTER schreibt zum Gefüge von Quinten und Großterzen (Seite 32): „Die erste Stimmung Kirnbergers von 1766 ist eine weitere Variante des Systems“ (siehe T 80 und T 107)
Cis - Gis - Dis -
B - F
- C -
G - D
! ! ! !
A - E
- H - Fis.
Damit gibt er dieselbe Auswahl aus dem Tonnetz reiner Quinten und Terzen wie VOGEL (siehe oben), wenn auch die Tonstufen "des - as - es" hier "cis - gis - dis" genannt sind.
Eine als "pythagoreisch-rein" bezeichnete Temperatur (siehe T 57) ist aufgebaut aus nur drei unterschiedlich großen Halbtönen (ohne Apotome-Intervall), sonst wie die hier beschriebene Kirnbergersche 1.Fassung und anders im Quintenzirkel positionierter Schisma-Quinte