T 06
Sechste Temperatur Marpurg -
Dresdener Temperatur
Friedrich Wilhelm Marpurg:
Neue Methode allerley Arten von Temperaturen ... aufs bequemste mitzutheilen, 1790
"Sechste Temperatur, welche aus 10 reinen und 2 alterirten Quinten besteht. Die beyden alterirten Quinten sind h:fis von 6/12 und b:f von 6/12 des pythagoreischen Kommas." (Seite 27)
Bei allen zwölf von Marpurg beschriebenen
musikalischen Temperaturen geschieht die Verteilung des pythagoreischen Kommas
auf verschiedene Quinten im Quintenzirkel auf der Basis der Zwölfteilung dieses
Komma-Intervalles, für diese Temperatur wird es im Verhältnis 1 zu 1 auf die
beiden Quinten e-h und b-f im Quintenzirkels aufgeteilt, es ist also eine Zweiteilung
des pythagoreischen Kommas.
Das Stimmverfahren für diese Temperatur:
„Wenn man von dem tiefern Tone h der Quinte h:fis so viele Quarten – eine, als viele Zwölftheile das fis gegen h herabschweben soll, wird zurückgezählet haben, nemlich h:e, e:a, a:d, d:g und g:c: so constuire man auf dem Proberegister zwischen dem zuletzt gefundenen Tone c und dessen Oktave eine bis zum fis der proponirten Quinte h:fis sich erstreckende gleichschwebende Temperatur, als: c:es, dis:fis, fis:a und a:c, und trage das gleichschwebende fis auf das Hauptregister. Man stimme auf dem Proberegister die Quinten c:g, g:d, d:a, a:e und e:h. Der zuletzt gefundene rationale Ton h wird auf das Hauptregister getragen, und die beiden Töne h und fis werden eine Quinte von 6/12 (pK-reduziert) geben. Man stimme auf dem Hauptregister von h an die 6 Quarten h:e, e:a, a:d, d:g, g:c und c:f, von fis an die 4 Quinten fis:cis, cis:gis, gis:dis und es:b.“
Nach einer zusätzlichen logarithmischen Berechnung wird eine Tabelle für alle zwölf Tonstufen von C bis c aufgelistet
" ... und die Logarithmen der ganzen Temperatur werden seyn wie folget:"
gegebene
Tonlogarithmen, dazu die umgerechneten Cent-Zahlen:
c = 5.0000000
1200.000 Cent
h = 5.0226335
1109.775 Cent
b = 5.0482098
1007.820 Cent
a = 5.0737860
905.865 Cent
gis = 5.0993626
803.910 Cent
g = 5.1249387
701.955 Cent
fis =
5.1505150
600.000 Cent
f = 5.1760913
498.045 Cent
e = 5.1987248
407.820 Cent
dis = 5.2243012
305.865 Cent
d =
5.2498774
203.910 Cent
cis = 5.2754538
101.955 Cent
C = 5.3010300
0.000 Cent
Mit dieser "Sechsten Temperatur, welche aus 10 reinen und 2 alterirten Quinten besteht" hat Marpurg die Intervallverteilung dargestellt, welche er unter der Überschrift "Beschreibung der Temperatur des Herrn Baron von Wiese zu Dresden" als dessen "Vorschlag einer neuen Stimmungsart" vorführt.
Hans-Joachim Schugk:
Praxis barocker Stimmungen und ihre theoretischen Grundlagen, 1980
Schugk beschreibt eine Entwicklung von der pythagoreischen Stimmung (mit ungeteilter Kompensierung des pythagoreischen Kommas in einer einzigen Quinte des Quintenzirkels) zur gleichschwebend temperierten Stimmung (gemeint ist die gleichstufig temperierte Stimmung, der Verf.) durch zunehmende Teilung des pythagoreischen Kommas in (zwei, drei ... bis zwölf) gleiche Teile.
Unter der Überschrift: „Die Zweiteilung des Pythagoreischen Kommas“ beschreibt Schugk (Seite 43), wie Henricus Grammateus (1518) dafür sorgt, "dass vier Quinten, welche die Terz aufbauen, nur eine der >halben< Wolfsquinten enthalten". Die Verhältnisse im Quintenzirkel sind: zwei Wolfsquinten h-fis und b-f , alle restlichen zehn Quinten bleiben rein.
Eine andere Methode, die vier Quinten, welche eine Terz aufbauen im Quintenzirkel so zu legen, dass sie beide >halben< Wolfsquinten enthalten, wird bei Kirnberger II (siehe T 40) realisiert: Die benachbarten Quinten d-a-e sind je um die Hälfte des pythagoreischen Kommas verkleinert.
Mit zwei, jeweils um die Hälfte des pythagoreischen Kommas verminderten Quinten sind diese "zwar noch deutlich verstimmt, aber die zwei entstehenden Wölfe sind >nicht mehr ganz so ausgewachsen<."
Helmut K.H. Lange: Ein Beitrag zur musikalischen Temperatur der Musikinstrumente vom Mittelalter bis zur Gegenwart, 1968
Lange bezieht sich bei dieser Temperatur auf die Quelle New kunstlich Buech, Nürnberg, 1518 des Autors Heinrich Schreyber alias Henricus Grammateus aus Erfurt.
Im Text (Seite 492) und in einer Tabelle mit genauen Centzahlen (Seite 496) wird unter der Überschrift "H.Grammateus 1518 1/2 pyth.Komma" die Lage der beiden je um eine Kommahälfte verminderten Quinten beschrieben,
Seiner Einschätzung nach stellt "die Orgelstimmung von Grammateus eine der mathematisch reizvollsten Temperaturen dar: Die diatonischen Töne stimmt er rein pythagoreisch, die Halbtöne findet er als geometrisches Mittel der diatonischen Nachbartöne ... Wir konstatieren die erste uns bekannte Teilung des pythagoreischen Kommas, da die Quinten H-Fis und B-F mit 690.224 9957 Cents um je ein halbes pythagoreisches Komma zu eng sind, von denen nur eine am Monochord mittels des Quotienten 809 : 543 erzeugt werden muß."
Seine Bewertung dieser musikalischen Temperatur: "Die Stimmung ist für die Zeit akzeptabel; es entstehen vier pythagoreische große Terzen über F; C; G; Fis, die anderen sind mit 396.090 Cents besser als unsere temperierte Terz."
Franz Josef Ratte: Die Temperatur der Clavierinstrumente,
1991
Nach den Zahlen der Intervalltabelle "Heinrich Grammateus, 1518" (Centwerte der Halbton-Folge) ist bei Ratte (Seite 250) die Lage einer der um 1/2 pK verkürzten Quinten ebenfalls bei h-fis, die der anderen aber von b-f auf die benachbarte Quinte es-b verschoben (siehe T 118).