T 31

Die  gleichstufige  Temperierung

Martin Vogel: Die Lehre von den Tonbeziehungen, 1975

Seite 237ff: „In der offiziellen Stimmung unserer heutigen Musik ist das Komma -  die 12. Quinte übersteigt die 7. Oktave um ein Quintkomma zu 23.4600104 cent – auf alle zwölf Quinten gleichmäßig verteilt. Man nennt sie daher gleichschwebend oder besser gleichstufig, da die Zahl der Schwebungen nicht nur vom Grad der Verstimmung, sondern auch von der Tonhöhe (Frequenz) abhängt ... Die gleichstufige Temperierung ist eine sehr nützliche Einrichtung ... Das unbegrenzte Modulieren in alle Tonarten ist keine Errungenschaft der gleichstufigen Temperatur, sondern war bereits mit einer Quint-Stimmung wie dem >Erlangener Monochord< gegeben ... Bach stimmte mit Sicherheit ungleichschwebend temperiert ... Es stimmt auch nicht, dass Andreas Werckmeister die gleichstufige Temperierung erfand oder für sie eintrat ... Bei der gleichstufigen Temperatur haben wir es mit der geometrischen Teilung zu tun; sie tritt überall dort auf, wo gleichgroße Intervalle aufeinander folgen.“ (siehe „Erlangener Teilungsvorschrift“ T 80)

Wilhelm Dupont: Geschichte der musikalischen Temperatur, 1935

Im Abschnitt "Durchdringen der gleichschwebenden Temperatur um 1700" berichtet Dupont von frühen Zeugnissen: "In China hat schon Lü Pu Wie (um 250 v.Chr.) die gleichschwebende Temperatur gekannt .. in Europa wurde der Aritoteles-Schüler Aristoxenos von Tarent (354-300) als der Begründer der gleichschwebenden Temperatur gepriesen, die Kenntnis der Teilung der Oktave in zwölf gleiche Teile finden wir bei Ramis de Pareja (etwa 1440-1500) und Franchinus Gafurius (1451-1522) ... Um die Einführung der gleichschwebenden Temperatur haben sich in Deutschland besonders Andreas Werckmeister und Joh. Georg Neidhardt um die Wende des 17. auf das 18. Jahrhundert verdient gemacht. In der >Sectio canonis harmonici, Königsberg, 1724< schreibt J.G. Neidhardt: >Es solten aber die Theile des commatis / von Rechts wegen / nicht einander gleich seyn / sondern nach proportiones abfallen. Derowegen theile ich es auch geometrice in 12 rationes.< Neidhardt scheute sich vorerst, alle Quinten um 1/12 pythagoreisches Komma zu erniedrigen, deshalb schlug er drei andere Verfahren vor, das Komma zu teilen ... Endlich aber bringt er doch auch die Temperierung durch gleiche Kommaeinteilung: >Und in der Vierdten schweben alle Quinten ein Zwölftel" (Seite 87 und 88):

                C       CIS        D        DIS        E        F       FIS       G       GIS       A         B         H         c
              
 0       100       200      300      400    500     600     700      800     900     1000    1100   1200
        
          100       100      100      100     100     100     100     100      100     100      100      100

Bei Dupont hat diese (gleichstufige) musikalische Temperatur die Bezeichnung "Die gleichschwebend-temperierte Stimmung" (Seite 13) und "Gleichschwebende Temperatur" (Seite 88): "Der gleichschwebend temperierte Halbton (100 Cents) ist der zwölfte Teil der Oktave" (Seite 14). "Es ist ... immer nur das gleiche Verhältnis, um welches die gleichen Intervalle von ihrer Reinheit abweichen, nicht aber vielleicht die gleiche Anzahl der Schwebungen. >Schwebend< bezieht sich in der musikalischen Temperatur auf das periodische Auf- und Abwogen, das konsonierende Intervalle, sobald sie etwas von ihrer Reinheit verlieren, wahrnehmen lassen. Hierbei ist die Zahl der Schwebungen verschieden, aber für ein bestimmtes Intervall in jeder Lage ergibt sie immer den gleichen Bruchteil der Schwingungszahl des höheren und tieferen der beiden Primärtöne. Hierauf bezieht sich die Bezeichnung gleichschwebend." (Seite 15).

"J.Ph. Kirnberger gab als Bachschüler offen zu, von seinem Lehrmeister dazu angehalten worden zu sein, die gleichschwebende Temperatur zum Klavierstimmen anzuwenden ... Aber er wollte (diese) aus drei Gründen auf Instrumente nicht angewendet wissen: Nach seiner Ansicht muß eine Temperatur folgendes ermöglichen: 1. Die Leichtigkeit der Stimmung, 2. Die verschiedene Charakterisierung der Tonarten und 3. Dasz die Intervalle soviel als möglich in den Verhältnissen sind, als sie die in theoretisch reinen Verhältnissen fortgehende Melodie giebt. Dies ermöglicht nach seiner Ansicht die gleichschwebende Temperatur nicht." (Seite 94)

"Und in der Vierdten schweben alle Quinten gleich" - mit diesem Satz (Seite 88) leitet Dupont über zum Abschnitt "Gleichschwebende Temperatur". Dupont weist mit der Erwähnung dieser Temperatur auf den Höhepunkt und Abschluss einer Entwicklung hin, in der Neidhardt die Tonintervalle immer gleichstufiger machte. (siehe T 22)

Manfred Tessmer: Wie war Bachs Wohltemperirtes Clavier gestimmt?, 1994

 „In seiner Schrift über die Schloßkirchenorgel von Grüningen aus dem Jahre 1705 erklärt Andreas Werckmeister (1645–1706) >denen, so die Musik nicht verstehen<, die gleichstufige Temperatur in einem Gleichnis: >Ich habe 12 Maaß Wein / und 12 Löffel Wasser / wenn ich denn in jedes Maaß Wein / einen Löffel voll Wasser giesse / so werde ich das Wasser wenig / oder gar nicht schmecken / wollte ich aber alle zwölff Löffel voll Wasser in ein Maaß Wein giessen / so würde das Wasser mercklich geschmecket werden / und keine gute Temperatur seyn: Dieser Krug würde gegen die andern nicht accordiren.

In seinem 1707 posthum erschienenen Buch Musikalische Paradoxal-Discourse bekennt Werckmeister, dass er die gleichstufige Temperatur schon 30 Jahre zuvor, d.h. etwa 1676 in Erwägung gezogen habe:> ... wenn die Temperatur so eingerichtet wird / daß alle Quinten 1/12 Commat ... schweben und ein accurates Ohr dieselbe auch zum Stande zubringen / und zustimmen weiß / so dann gewiß eine wohl temperirte Harmonica, durch den gantzen Circul und durch alle Claves sich finden wird.“ (Seite 182)

Nach dem Vorbild Kirnbergers hat Tessmer eine Tabelle für die "Gleichschwebende Temperatur" mit auf eine Dezimalstelle gerundeten Cent-Zahlen so eingerichtet, dass "sämtliche in einer 12stufigen Oktavteilung möglichen Intervalle ohne weitere Rechnungen sofort ablesbar " sind. Außerdem sind in einer Kopfleiste die Kommaverteilung und die Lage der Quinten mit genauen Cent-Zahlen angegeben: "Alle Quinten sind um 1/12 des pythagoreischen Kommas verkleinert".(Seite 202)

Helmut K.H. Lange:

Tonlogarithmen, Musikalisch-akustisches Tabellenwerk, 1978

Lange gibt auf Seite 28 unter der Überschrift "Temperierte Stimmung" eine Tabelle mit Saitenlängen zwischen 144.00 (Prime) und 72.00 (Oktave), Frequenzverhältnissen mit 20/12 (für die Prime) mit ungekürzten Potenzzahlen bis 212/12 (für die Oktave) und Intervallmaßen, das sind die genauen Cent-Zahlen in 100er-Schritten für alle zwölf Tonstufen zwischen 0 und 1200.

 

 

Michael Dickreiter: Der Musiktheoretiker Johannes Kepler, 1973

„Keplers Beschreibung der gleichschwebenden Temperatur, die die Oktave in zwölf gleiche Halbtöne teilt ... wurde von den italienischen Musiktheoretikern der Renaissance bei ihrer Beschäftigung mit der antiken Musiktheorie des  Aristoxenos übernommen. Vincento Galilei gibt den Wert 17/18 für den gleichschwebend temperierten Halbton an, der praktisch durch die Bünde auf der Laute und Viola verwirklicht sei. Kepler übernimmt diesen Wert für den gleichschwebenden Halbton und berechnet damit alle zwölf Halbtöne der Oktave. Die Halbtöne liegen mit 99 Cent sehr nahe am richtigen Wert von 100 Cent. Kepler ist damit der erste deutsche Musiktheoretiker, der die gleichschwebende Stimmung exakt beschreibt, soweit das mit den Mitteln der damaligen Mathematik möglich war. Er billigt dieses >mechanische Verfahren< Galileis durchaus für die Instrumentalmusik, hält es aber für die Erkenntnis der Natur der Musik für unbrauchbar: So sei die menschliche Stimme wegen ihrer Fähigkeit, die Intervalle rein hervorbringen zu können, den Instrumenten überlegen.“ (Seite 158)

Bernhard Billeter: Anweisung zum Stimmen von Tasteninstrumenten, 1979

Billeter, Seite 12: "Man verteilt das pythagoreische Komma gleichmäßig auf alle 12 Quinten, d. h man stimmt jede Quinte um 1/12 pythagoreisches Komma zu eng und nimmt dabei in Kauf, dass jedes Intervall außer der Oktave leicht unrein ist. Dafür kann man in allen Tonarten gleich gut spielen. Diese Methode nennt man die gleichschwebende Stimmung oder gleichschwebende Temperatur. Der Ausdruck >gleichschwebend< ist nicht korrekt: z. B. ergibt die nach dieser Methode gestimmte ... Quinte a1- e2 eine doppelt so schnelle Schwebung wie die gleich große Quinte a0- e1. Der englische Begriff >equal temperament< ist besser, aber der deutsche Sprachgebrauch läßt sich nicht rückgängig machen."

Billeter beschreibt eine "Stimmanweisung für die gleichschwebende Temperatur":   
Die Tonintervalle werden "zunächst rein gestimmt, dann aber um eine Spur erniedrigt, gerade so viel, daß langsame Schwebungen entstehen. Um wieviel diese Quinte von der reinen abweichen soll, läßt sich schwer beschreiben: das ist Erfahrungssache ... Ein Amateur mit geschultem Gehör wird im Laufe einiger Monate autodidaktisch genügend Erfahrung sammeln ... In der Praxis ... bleibt nichts anderes übrig, als nochmals von vorne zu beginnen, bis das Resultat befriedigt": "(Seite 13)

Herbert Anton Kellner: Wie stimme ich selbst mein Cembalo, 1979

Das Kapitel "Die gleichschwebende Temperatur" wird eingeleitet mit: „Die gleichstufige Temperatur, fälschlich >gleichschwebend< genannt, ... ist durch eine Kette von zwölf gleich großen Quinten gekennzeichnet, die ... genau sieben Oktaven ausfüllen." (Seite 44)        
Kellners Stimmschema: "Sobald man die kleine Oktave zufriedenstellend in drei Terzen unterteilt hat, werden in jedes dieser gleichschwebenden Intervalle vier gleiche Quinten eingepasst ... Dabei müssen die Terzen c-e, e-gis und as-c nach oben hin abgestuft schneller schweben, da sie gleich groß, das heißt, gleich stark temperiert sind." Zur Teilung der Terz-Intervalle beschreibt Kellner ein Probierverfahren, auf das hier nicht eingegangen wird.   
Für die Herstellung einer gleichstufigen Temperatur gibt Kellner zwei Methoden des Schwebungsstimmens und drei Kontrollverfahren, deren letztes: „sieben reine Quinten plus eine reine Großterz ergeben, wie Kirnberger entdeckt hat, mit einer Genauigkeit von 0.0013 cent die gleichschwebend temperierte Quart." er als "überraschend genaue Annäherung, unbrauchbar für die Praxis" bezeichnet. "

Hans-Joachim Schugk:

Praxis barocker Stimmungen und ihre theoretischen Grundlagen, 1980

Schugk beschreibt eine Entwicklung von der pythagoreischen Stimmung (mit ungeteilter Kompensierung des pythagoreischen Kommas in einer einzigen Quinte des Quintenzirkels) zur gleichschwebend temperierten Stimmung (gemeint ist die gleichstufig temperierte Stimmung, der Verf.) durch zunehmende Teilung des pythagoreischen Kommas in (zwei, drei ... bis zwölf) gleiche Teile.

Bei der Gleichschwebend temperierten Stimmung wird das Pythagoreische Komma gleichmäßig auf 12 Quinten verteilt. Schugk bemerkt im Text unter dem Titel "Die Gleichschwebend temperierte Stimmung (gemeint ist die gleichstufig temperierte Stimmung): (Werckmeister um 1700)" (Seite 38): "... die gleichschwebend temperierte Stimmung ist sicher nicht Bach´s >wohltemperierte< Stimmung." (Seite 38)        
(Seite 67): "Wir können die Gleichschwebend temperierte Stimmung als Kompromiß zwischen der Mitteltönigkeit und der Pythagoräischen Stimmung betrachten."

Franz Josef Ratte: Temperierungspraktiken im süddeutschen Orgelbau, 1990

Bei Ratte wird J.G.Neidhardt zitiert >Gäntzlich erschöpfte Mathematische Abtheilunen des Diatonisch-Chromatischen, temperierten Canonis Monochordi; Königsberg und Leipzig 1732, S.40f<: "Es führt also die gleichschwebende Temperatur ihre Bequemlichkeit und Unbequemlichkeit mit sich, wie der liebe Ehestand." Neidhardt schlägt als Kompromiß vor, die Temperatur nach dem Qualitätsstand der Musik und der Qualifikation des Organisten einzurichten. Am Hofe, wo die Musik seiner Meinung nach am höchsten stehe, käme man ohne die gleichstufige Temperatur nicht aus (Seite 399).   
Ratte zeigt für die "Gleichstufige Temperatur" außer diversen Intervalltabellen mit 100er-Zahlen ein Quint-Terz-Diagramm "zur graphischen Veranschaulichung von Stimmungssystemen zwecks besserer Vergleichsmöglichkeiten" (Seite 416); in der ausführlicheren Darstellung (1991) ist der Überschrift "(12:12)" zugefügt (Seite 156).

Franz Josef Ratte: Die Temperatur der Clavierinstrumente, 1991

Es werden (Seite 160) in einer "Übersicht über die verschiedenen Möglichkeiten einer regelmäßigen Temperatur bei Teilung des Kommas in 3 bis 11 Teile" vierzehn Temperaturen aufgelistet. In allen wird das syntonische Komma geteilt: 1/3 (siehe T 58), 1/4 (siehe T 60), 1/5 (siehe T 61), 1/6 (siehe T 62), 1/7 (siehe T 112), 2/7 (siehe T 59), 1/8 (siehe T 113), 1/9 (siehe T 114), 2/9 (siehe T 111), 1/10 (siehe T 115), 3/10 (siehe T 109), 3/11 (siehe T 110) 2/11 (siehe T 63),und eine "1/11 s.K.- Temperatur:    
1/11 des syntonischen Kommas sind mit Taschenrechner-Genauigkeit umgerechnet 1.955117236 ... cent, eine um dieses Kommateil verminderte reine Quinte hat die Größe von  699.9998836... cent. Elf solche Quinten nehmen den Tonraum von 7699.99872 cent ein, die zwölfte Quinte schließt mit 700.0012801 cent den Quintenzirkel, die "Ausgleichsquinte" ist in der "1/11 s.K.-Temperatur" nur 0.00139652 cent größer als die elf anderen Quinten.

Wegen der gleichmäßigen Verteilung der Quintenverkleinerungen auf elf Quinten des Quintenzirkels und einer Ausgleichsquinte zählt diese Temperatur zu den "regelmäßigen Temperaturen" nach der Definition von Ratte: "Als regelmäßig werden die Temperaturen bezeichnet, in denen mit Ausnahme der Restquinte alle Quinten um denselben Wert reduziert sind".(Seite 150)

 

Die heute allgemein verwendete gleichstufige Temperatur lässt Transpositionen und Modulationen in alle Tonarten zu, alle Töne sind enharmonisch verwechselbar, die Unterscheidung zwischen diatonischem und chromatischem Halbton entfällt.

"Der von J.G.Neidhardt (Beste und leichteste Temperatur des Monochordi, Jena 1706) geprägte und noch heute im deutschen Sprachgebrauch meist verwendete Begriff gleichschwebende Temperatur< (wird) bewusst vermieden, weil er irreführend ist und zu falschen Schlüssen führen könnte: Terzen und Quinten dieser Temperatur ... weisen je nach der Frequenz der beiden beteiligten Töne unterschiedliche Schwebungszahlen auf, die Quinte c'-g' z.B. schwebt etwa 0.9 mal, die Quinte e'-h' dagegen 1.1 mal, die Quinte h-fis'' bereits etwa 1,7 mal pro Sekunde." (Fußnote Seite 154)

Schwarzenberg, Wegscheider: Die große Silbermann-Orgel im Dom zu Freiberg, 1999

Schwarzenberg/Wegscheider bringen einen „Vergleich mit anderen Stimmungsarten“ zur „Temperierung der Silbermann-Orgel im Dom zu Freiberg“. Außer der Großterz-Mitteltönigkeit (Skala „1.M“, siehe T 60), der 1/6-pK-Mitteltönigkeit (Skala „2.S“, siehe T 63), Stimmung der Silbermann-Orgel im Freiberger Dom (Skala „4.F 1985, siehe T 96) und der gleichstufigen Temperierung (Skala „5.GT“, siehe T 31) gibt es die Skala „3.Sm“ mit ganzzahligen Centwerten für die Tonstufen, die Abweichung von der Gleichstufigkeit (D), die Terzen (T) und die Quinten (Q).

Schwarzenberg/Wegscheider bringen zum Vergleich anderer Stimmungsarten mit der Temperierung der Silbermann-Orgel im Dom zu Freiberg die Skala „GT“ mit ganzzahligen Centwerten für die Tonstufen, alle Terzen (T) sind 400 cent, alle Quinten (Q) sind 700 cent groß.

Im Text (A6) heißt es: „In der gleichmäßigen Temperierung, die sich etwa ab der Mitte des 18. Jahrhunderts langsam durchsetzte, sind ... die Intervalle der Terzen und Quinten auf ein gleiches Maß nivelliert; die Quinten sind um 1/12 pythagoreisches Komma vermindert, aus denen sich um etwa 14 Cent erweiterte große Terzen ergeben.“

Joseph Goebel: Theorie und Praxis des Orgelpfeifenklanges, 1967

Goebel (siehe T 99) beschreibt unter der Überschrift >Temperierte Stimmung< (Seite 35ff) eine Stimmanweisung und eine "Tabelle der Schwingungen in Hz", welche allerdings eine unrichtige Zahl für die Tonstufe gis enthält.

Die Auseinandersetzung mit den Angaben in den beiden Tabellen zeigt, mit welchen Schwierigkeiten die Theorie des Intonierens und Stimmens in die Praxis des Orgelpfeifenklanges umzusetzen ist: Notwendige Kürzungen der Angaben mit Auf- und Abrunden der Zahlen führen zu Ungenauigkeiten, dazu kommen mögliche Druck-/Übertragungsfehler. Der Praktiker wird in den seltensten Fällen die Zahlen nachrechnen und sich auf die Angaben verlassen.

Trotz der Ungenauigkeiten aus Kürzungen der Zahlen gelingt es Goebel, eine hineichend genaue Gleichstufigkeit zu erreichen.

Wolfgang Theodor Meister: Die Orgelstimmung in Italien und Süddeutschland, 1991

"Der allgemein gebräuchliche Terminus >gleichschwebend< ist falsch: z.B. schweben ausgehend von a1 = 440 Hz die gleichstufig gestimmte Quinte d1 - a1 mit 0.99 Stößen pro Sekunde, während a1 - e in gleicher Stimmung mit 1.49 Stößen pro Sekunde schwebt. Gleichwohl sind beide Quinten 700 Cents groß. Die sysonyme Verwendung von "gleichschwebend" und "gleichstufig" ist also nicht möglich, weil gleichgroße nicht reine Intervalle in der Regel verschieden schnell schweben. Da der Beschreibung der heute fast allgemein üblichen Temperatur die Egalität der zwölf Halbtonstufen innerhalb einer Oktave zum Ausdruck kommen soll, sind allein die Bezeichnungen "gleichstufig" oder "gleichteilig" korrekt." (Seite 50)

Meister zitiert Jenker/Lottermoser (Braunschweig 1971, S. 24) mit der Meinung " ... dass die völlig abweichungsfreie gleichstufige Stimmung musikalisch nicht befriedigt", Carl Elis (Orgelwörterbuch 1949, S. 96) "Dass die gleichschwebende Temperatur für die Orgel nicht taugt, haben nicht allein die Orgelbauer und Organisten, sondern auch andere Musiker, Aesthetiker und Akustiker eingesehen und ausgesprochen." und Lindley (Stimmung 1987,S. 248), welcher darauf hinweist, dass es in den "seit der Mitte des 18. Jahrhunderts massenweise errechneten und publizierten ... gröberen oder feineren Annäherungen an die exakt gleichstufige Temperatur ... zwar keine Wolfsquinte mehr gibt, aber auch kein Verlangen mehr, eine kunstvolle Nuancierung der Tonarten anzustreben."

Zusammen mit der "Tatsache, dass die gleichstufige Temperatur weder nach Gehör noch mit einem elektronischen Stimmgerät bei Orgelpfeifen exakt zu legen ist" hält er, ohne eine generalisierende Position beziehen zu wollen "die gleichstufige Temperatur als für die Orgel ungeeignet und letztendlich unpraktisch ..., weshalb auf sie nicht weiter eingegangen werden muss."(Seite 53)

 

Zur gleichstufigen Temperatur:

Die Gleichstufigkeit besteht in der zur linearen Skala der Tonfrequenzen logarithmischen Skala. Sind alle zwölf Stufen der chromatischen Tonleiter von der gleichen Halbtonintervall-Größe, sind ebenfalls alle anderen Tonintervalle wie Quinten, Quarten etc. gleich groß.

Die Größe einer chromatischen Tonstufe, eines Halbton-Schrittes, berechnet sich direkt aus "1/12 des Oktavenintervalls", das ist "Zwölfte Wurzel aus 2/1 oder auch 21/12". Das Quintintervall besteht aus sieben Halbton-Schritten und hat damit die Größe "(zwölfte Wurzel aus 27 oder auch 27/12)", das Quartintervall mit fünf Halbton-Schritten "(zwölfte Wurzel aus 25 bzw. 25/12)" usw.

Auf der Cent-Skala haben alle zwölf Halbton-Intervalle dieselbe Größe von 100 cent, somit jedes Oktaven-Intervall 1200 cent, jedes Quintintervall hat 700 cent, Quartintervall 500 cent usw.. Dagegen verdoppeln bzw. halbieren sich die Zahlen im Oktavenabstand in der linearen Skala der Tonfrequenzen, beispielsweise ist das Intervall zwischen den Tonfrequenzen 220Hz und 440Hz genau so eine Oktave wie die zwischen 440Hz und 880 Hz, obwohl die Frequenzunterschiede in der unteren Oktave 220Hz, bei der oberen aber 440Hz betragen.

Beide Skalen stehen im logarithmischem Verhältnis zueinander. Der Logarithmus zur Basis 1200 wurde gewählt, weil dadurch mit der Teilung des Oktavintervalles in zwölf Tonabschnitte (Halbtöne) auf jedes Teilintervall jeweils 100 Einheiten (cents) entfallen, womit Unterschiede bei ungleicher Teilung prozentual vergleichbar sind.

Im Sprachgebrauch werden die beiden Begriffe "gleichstufig" und "gleichschwebend" häufig synonym verwendet. "Gleichstufigkeit" heißt: gleichgroße Zahlen in der Centskala, "Gleichschwebung" dagegen, dass in der linearen Frequenzskala Tonintervalle gleiche Schwebungsfrequenzen haben.

Die von Ratte (1991) beschriebene "gleichstufige Temperatur mit einer reinen Terz" (siehe T 117) kann als Sonderfall der Gleichstufigkeit gelten, bei dem die Lage einer Tonstufe anders als in der gleichstufigen Temperierung (siehe T 31) definiert wird. Die „Kennlinien“ bekommen dadurch einen Abstand zur „Linie der Gleichstufigkeit“, mit zwei unterschiedlichen Stufengrößen sind alle anderen Tonstufen von dieser Tonstufe aus zur Grundton- und zur Oktavstufe hin gleichstufig.

Wegen der fehlenden Abweichung aller zwölf Tonstufen von den 100er-Werten in der Cent-Skala (bei allen anderen Temperaturen gibt es bei mindestens einer Tonstufe Abweichung!) sind die Kennlinien der gleichstufigen Temperatur die geraden Verbindungslinien zwischen Grund- und Oktaventon.

Das "Profil der musikalische Temperatur", es  ist auch das "Profil des Instrumentes", wenn ein Instrument mit festen Tonhöhen wie Klavier oder Orgel in dieser musikalischen Temperatur eingestimmt ist, hat im Vergleich zu allen anderen Temperaturen diese Besonderheit:
Weil es nicht eine ungleichstufige Temperatur ist, treten bei Änderung der Tonart auch keine Veränderungen in der Folge der Tonstufengröße ein - in jeder Tonart werden exakt dieselben Tonstufen benutzt wie sie in der Stimmoktave gegeben sind - es gibt keine Abweichungen aus der "Null-Ebene" - das „Profil“ ist eine glatte Fläche.

Die gleichstufige Temperatur kann sowohl als Sonderfall der "wohltemperierten" wie auch der "mitteltönigen" Temperatur aufgefasst werden