T 33
Die wohltemperierte Stimmung von Johann Sebastian Bach
Indem er Bach erkannte als „Huldiger eines
numerologischen Manirismus, (der) angesichts seiner Zahlenkonstruktionen die
Möglichkeiten eines Wunderrechners (hatte)“ (Seite 448) folgert Kellner: „(Die)
Strukturierung nach einem abstrakt-mathematischem Prinzip der Unifikation
zwischen Harmonie und Struktur, hierarchisch der musikalischen Form
übergeordnet, manifestiert sich über alles Abzählbare der Musik (Taktzahlen, Taktlängen,
Tonanschläge, Anwendungen des Zahlenalphabets und architektonische
Zentrumsbildungen) in Bachs musikalischen Zahlengebäuden“. (Barocke Akustik und
Numerologie in den vier Duetten: Bachs "Musikalische Temperatur",
Ber. Int. Musikw. Kongr. Stuttgart 1985, Kassel 1987, Seiten 439-449). „Der
Durdreiklang ... mit seiner Proportion 4:5:6 .-. wurde als >trias harmonica
perfecta< bezeichnet und auch als Tri-Unisonus angesehen. Im Geiste der
theologisch-zahlenmystischen Musikauffassung des Barock war der Dreiklang ein
Abbild der Trinität“ (Wie stimme ich mein Cembalo ?, 1979, Seite 40).
Herbert Anton Kellner hat von zwei unterschiedlichen Ansätzen aus für die Johann Sebastian Bach zugeschriebene „Wohltemperierumg“ Intervallverteilungen vorgeschlagen:
1) Patentschrift DE 2558716 C3, Anmeldetag 24.12.1975, Veröffentlichungstag 14.05.1981: „Die vorgeschlagene musikalische Temperatur lässt sich aus einem einzigen >wohltemperierten Dreiklang< herleiten ... die erfindungsgemäße Temperierung des C-Dur-Dreiklanges ist dadurch definiert, dass dessen Terz Tw ebenso schnell überschwebt wie dessen Quint QW unterschwebt.“ Vier Quinten QW erfüllen die Terz TW, sieben Quinten im Zirkel bleiben rein, die fünfte temperierte Quint liegt auf h-fis und ergibt sich in ihrem Intervallwert bei der Schließung des Quintenzirkels von selbst.
2) In „Wie stimme ich selbst mein Cembalo ?“ (1979) schreibt Kellner in einem Kapitel zur wohltemperierten Stimmung von Johann Sebastian Bach: „Diese Stimmung ist meine Rekonstruktion der Stimmung für das wohltemperierte Klavier ... Im H-Dur-Dreiklang (soll) die Terz H-dis sechsmal so schnell überschweben wie die Quint H-fis unterschwebt".
Diesmal ist – bei gleicher Verteilung der fünf verminderten Quinten im Zirkel – die Terz c-e das Restintervall, in welches mit einem von ihm selbst bezeichneten „Probierverfahren“ vier gleiche Quinten zu temperieren sind, wie es bei der Stimmanweisung für die Großterz-Mitteltönigkeit beschrieben ist (siehe T 60).
Kristian Wegscheider: Das Geheimnis der
Stimmungsarten im Orgelbau, 2004
„Temperatur 7, Bach-Kellner in einer praktischen
Variante“:
Die fünf Quinten C-G-D-A-E und H-Fis sind so gemindert, dass die sich bildende
„Terz C-E genau so schnell schwebt
wie die vier (aufeinander folgenden, geminderten) Quinten, die Quinte H-Fs
ergibt sich – ist knapp doppelt so schnell.“
Manfred Tessmer: Wie war Bachs
Wohltemperiertes Clavier gestimmt?, (1994)
Tessmer gibt Tabellen zu vier musikalischen Temperaturen von Autoren, deren Stimmungen ausdrücklich mit dem Namen J.S.Bachs in Verbindung gebracht sind und die er als „sogenannte Bachstimmungen“ bezeichnet: Schugk (siehe T 42), Billeter (siehe T 37), Kelletat (siehe T 91) und Kellner.
Die genaue Kommaverteilung wird für alle vier Temperaturen jeweils in einer Kopfleiste zu den Tabellen angegeben. Zu "Herbert Anton Kellners sogenannte Bach-Stimmung (1977)" heißt es: "Die Quinten C-G-D-A-E, H-FIS sind um 1/5 des pythagoreischen Kommas verkleinert (697.263 C) Die Quinten E-H, FIS-CIS-GIS-DIS-B-F-C sind rein.“
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Kellners „patentierte“ und „stimmangewiesene“ Form ergeben wie die „praktische Variante“ Wegscheiders Intervallverteilungen, deren unterschiedliche Tonstufen-Größen mit Tessmers gleichstufiger „Fünfteilung des pythagoreischen Kommas“ in der folgenden Cent-Tabelle verglichen werden (in der Centskala sind gleichgroße Tonintervalle auch zahlenmäßig gleich):
Quinten |
Patentierte Form |
Stimmanweisung |
Praktische Variante |
Fünfteilung des pK |
|
|
|
|
|
f - c |
701.9550 |
701.9550 |
701.955 |
701.955 |
b - f |
701.9550 |
701.9550 |
701.955 |
701.955 |
es -b |
701.9550 |
701.9550 |
701.955 |
701.955 |
gis -es |
701.9550 |
701.9550 |
701.955 |
701.955 |
cis - gis |
701.9550 |
701.9550 |
701.955 |
701.955 |
fis - cis |
701.9550 |
701.9550 |
701.955 |
701.955 |
h - fis |
697.2014 |
697.2570 |
696.580 |
697.263 |
e - h |
701.9550 |
701.9550 |
701.955 |
701.955 |
a - e |
697.2784 |
697.2645 |
698.536 |
697.263 |
d - a |
697.2784 |
697.2645 |
696.840 |
697.263 |
g - d |
697.2784 |
697.2645 |
698.128 |
697.263 |
c - g |
697.2784 |
697.2645 |
696.231 |
697.263 |
In dieser
Gegenüberstellung sind die Differenzen der Quintengrößen zu erkennen:
>zu der in Kellners Patentschrift angegebenen Intervallgröße für die Quinte c-g , die er aus seinem „wohltemperierten Dreiklang auf C-Dur“ berechnet
hat und die für alle vier Quinten gilt, welche die Terz c-e aufbauen (c-g-d-a-e),
>zu der in Kellners Stimmanweisung (Seite 42f) als „Wohltemperierte Quint
fiso-H“ aus einem H-Dur-Dreiklang berechnetem Quintintervall und den
unterschiedlich stark schwebenden „Wohltemperierten Bachquinten co-go,
go-d1, do-ao und ao-e1“
und
>zu den ungleichstufig großen Quinten bei Wegscheiders „Bach-Kellner in
einer praktischen Variante“, bei der die vier Quinten c-g-d-a-e und die Terz
c-e gleichschnell schweben.
Die Links zu „Tabellen“ und „Graphik“ erreichen die gleichstufige „Fünfteilung des pK“.
Eine „Fünfteilung des pythagoreischen Kommas“ ist von Meister beschrieben. (siehe T 72) ohne isolierte Quinten: fünf verminderte, im Quintenzirkel benachbarte Quinten c – g – d – a – e – h und weiteren sieben reine Quinten im Zirkel.
Bei allen hier genannten Temperaturen wird das zu kompensierende pythagoreische Komma auf die Quinten im diatonischen Teil des Quintenzirkels verteilt mit geringen Differenzen, während im chromatischen Teil die Quinten unbelastet bleiben. Damit erfüllen sie alle das wesentliche Merkmal des „Stimmtyp wohltemperiert“, zu dem viele weitere auch gehören.