T 53

Gabler - Orgel,  Weingarten,  1750

Franz Josef Ratte: Temperierungspraktiken im süddeutschen Orgelbau, 1990

„Gabler modifizierte insofern, als er die Quinten nicht wie in der klassischen mitteltönigen Temperatur um 1/4 s.K., sondern um 1/6 – 1/5 s.K. temperierte, so daß die acht guten Terzen nicht rein, sondern leicht überschwebend, die vier Wolfsterzen dagegen leicht gemildert werden. Der Überschuß der Wolfsquinte beträgt hier aber immer noch ein ganzes syntonisches Komma.“ (Seite 404)      
Aus den Zahlen der auf Seite 420 gegebenen Tabelle mit fünf kleineren Halbtonintervallen á 85.069 Cent und sieben größeren á 110.665 Cent ist das Maß der Temperierung mit 23/132 pK, umgerechnet 4.088 Cent errechnet. Dieser Wert liegt zwischen „1/6 – 1/5 s.K.“ (3.584 – 4.301 Cent), „die acht guten Terzen“ sind mit je 391.468 Cent um 5.154 Cent größer als die reine Großterz (386.314 Cent), „die vier Wolfsterzen“ sind mit je 417.064 Cent gegenüber denen der Großterz-Mitteltönigkeit (siehe T 60) mit je 427.372 Cent gemildert, der Überschuss der Wolfsquinte beträgt mit 21.508 Cent „ein ganzes syntonisches Komma.

Quintenverminderungen um jeweils 23/132 des pythagoreischen Kommas (4.088 Cent) gelten als musikalisch tolerabel. Eine Ausgleichsquinte, bei der die reine 3/2-Quinte um 21.508 Cent, also um Einfünftel eines gleichstufigen Halbtonschritt vergrößert werden muss, hat diese Toleranz weit überschritten: Dieses Tonintervall gilt als musikalisch unbrauchbar. Auch bei den Terzen sind musikalisch tolerabel: acht „gute“ Großterzen, neun (grenzwertig „gute“) Kleinterzen, musikalisch unbrauchbar demnach vier Großterzen und drei Kleinterzen.

In der chromatischen Folge bilden die Differenzen (in Cent) der Werte der einzelnen Tonstufen zu den Stufen der Gleichstufigkeit einfache kleine Zahlenverhältnisse, in diesem Fall zum Tonintervall 12.798 Cent. Sie sind ganze Vielfache vom Sechstel der Abweichung der Tritonus-Tonstufe fis/ges, in den „Kennlinien 2“ führt dieses zu dem für Mitteltönigkeit charakteristischen sägezahnartigen Linienverlauf:

  1089.335 ( h  - T 061) minus 1100 cent ( h  - T 31) =  -5/6 von 12.798 cent
  1004.266 ( b  - T 061) minus 1000 cent ( b  - T 31) =  +2/6 von 12.798 cent
   893.601 ( a  - T 061) minus  900 cent ( a  - T 31) =  -3/6 von 12.798 cent
   782.936 (gis – T 061) minus  800 cent (gis - T 31) =  -8/6 von 12.798 cent
   697.867 ( g  - T 061) minus  700 cent ( g  - T 31) =  -1/6 von 12.798 cent
   587.202 (fis – T 061) minus  600 cent (fis - T 31) =  -6/6 von 12.798 cent
   502.133 ( f  - T 061) minus  500 cent ( f  - T 31) =  +1/6 von 12.798 cent
   391.468 ( e  - T 061) minus  400 cent ( e  - T 31) =  -4/6 von 12.798 cent
   306.399 ( es – T 061) minus  300 cent ( es - T 31) =  +3/6 von 12.798 cent
   195.734 ( d  - T 061) minus  200 cent ( d  - T 31) =  -2/6 von 12.798 cent
    85.069 (cis – T 061) minus  100 cent (cis - T 31) =  -7/6 von 12.798 cent

Wolfgang Theodor Meister: Die Orgelstimmung in Italien und Süddeutschland, 1991

„Zur Terminologie“ unterscheidet Meister „Offene Temperaturen“ (>Wolfsquinten< enthaltend) und „geschlossene Temperaturen“ (keine >Wolfsquinten enthaltend), beide mit den Untersystemen „regelmäßige“, „halbregelmäßige“ und „unregelmäßige“ Stimmungen. Wegen der gleichmäßigen Verteilung der Quintenverkleinerungen auf elf Quinten des Quintenzirkels - die zwölfte ist die Ausgleichsquinte - zählt die 1/5-sK-Temperatur nach der Terminologie von Meister zu den "offenen regelmäßigen Temperaturen": „Offene Regelmäßige oder reguläre Systeme enthalten neben einer oder zwei Wolfsquinten zehn oder elf gleiche Quinten (z.B. alle mitteltönigen Stimmungen)". (Seite 14)

Ratte, Seite 404: „Daß dieses von den ... französischen Meistern angewandte Prinzip der modifizierten Mitteltönigkeit in Süddeutschland im 18.Jahrhundert nicht nur bekannt, sondern auch praktiziert wurde, beweisen orgelakustische Untersuchungen ... an der Gabler-Orgel (1750) in Weingarten.“

Die von Ratte in einer „Intervalltabelle“ (Seite 420) angegebenen Cent-Werte sind nicht ganzzahlig, sie sind aufgrund theoretischer Überlegungen, nicht am bestehenden Instrument ermittelt. Die vollständige Skala der Quintgrößen ist entsprechend der Anweisung Rattes durch Addition der Halbton-Intervalle ermittelt. Zur besseren Vergleichbarkeit mit den übrigen Temperaturen dieser Studie ist die „Verteilung des pK im Quintenzirkel“ beigefügt, ohne dass die gegebenen Zahlen erweitert werden mussten.

Wolfgang Theodor Meister: Die Orgelstimmung in Italien und Süddeutschland, 1991

 

Meister beschreibt die Gabler-Orgel in Weingarten von 1750 nicht mit elf gleichstark geminderten Quinten und einer Ausgleichsquinte gis-es sondern mit am gestimmten Instrument gewonnenen ungleich großen Tonintervallen (siehe T 67).

Manfred Tessmer: Wie war Bachs Wohltemperirtes Clavier gestimmt?, 1994

Nach der Restaurierung 1983 nennt Tessmer eine „schwach mitteltönige“ Temperierung mit drei gering überschwebenden Quinten fis-cis-gis-dis (siehe T 97).