T 60

Großterz - Mitteltönigkeit

Wolfgang Th. Meister nennt es „Großterz-Mitteltönigkeit“, für Franz Josef Ratte ist es die „1/4-Komma-Temperatur – Mitteltönige Stimmung“. Ratte (1991) nennt in einer "Übersicht über die verschiedenen Möglichkeiten einer regelmäßigen Temperatur bei Teilung des Kommas in 3 -11 Teile" (Text Seite 159, Tabelle Seite 160) mit vierzehn Quotienten „alle Möglichkeiten, die sich durch Teilung des Kommas ergeben“, zu der auch diese 1/4-Komma-Temperatur gehört., gemeint ist stets die Teilung des 81/80-syntonischen Kommas (sK). Für die 1/4-Komma-Temperatur gibt Ratte auf Seite 153 eine „Intervalltabelle“ und ein „Quint-Terz-Diagramm“.

Quintenverminderungen um jeweils 1/4 des syntonischen Kommas (5.3765 Cent) gelten als musikalisch tolerabel. Eine Ausgleichsquinte, bei der die reine 3/2-Quinte um 35.6815 Cent, also um etwa eindrittel eines gleichstufigen Halbtonschrittes vergrößert wird, ist die Toleranz weit überschritten: Dieses Tonintervall gilt als musikalisch unbrauchbar.

Bei den Terzen ergeben sich ebenfalls Differenzen:     
Zu der reinen 5/4-Großterz mit 386.314 Cent sind (wie bei der „Halbierung des syntonischen Kommas“, siehe T 64) acht Terzen der „Großterz-Mitteltömigkeit“ (auch benannt als „1/4-sK-Temperatur“) mit je 386,314 Cent schwebungsfrei-rein (c-e, g-h, d-fis, a-cis, e-gis, es-g, b-d und f-a), die restlichen vier Terzen liegen mit je 427.372 Cent weit entfernt (h-es, fis-b, cis-f und gis-c),
zu der reinen 6/5-Kleinterz mit 315.641 Cent liegen neun Terzen mit je 310.2645 Cent im 7-Cent-Toleranzbereich (e-g, h-d, fis-a, cis-e, gis-h, c-es, g-b, d-f und a-c), die restlichen drei Terzen (es-fis, b-cis und f-gis) mit je 269.2065 Cent liegen weit außerhalb dieses Bereiches.

In der chromatischen Folge bilden die Differenzen (in Cent) der Werte der einzelnen Tonstufen zu den Stufen der Gleichstufigkeit einfache kleine Zahlenverhältnisse, in diesem Fall zum Tonintervall 20.529 Cent, der Hälfte des „kleine Diesis-Intervalls“. Sie sind ganze Vielfache vom Sechstel der Abweichung der Tritonus-Tonstufe fis/ges, in den „Kennlinien 2“ führt dieses zu dem für Mitteltönigkeit charakteristischen sägezahnartigen Linienverlauf:

  1082.8925 ( h  - T 060) minus 1100 cent ( h  - T 31) =  -5/6 von 20.529 cent
  1006.8430 ( b  - T 060) minus 1000 cent ( b  - T 31) =  +2/6 von 20.529 cent
   889.7355 ( a  - T 060) minus  900 cent ( a  - T 31) =  -3/6 von 20.529 cent
   772.6280 (gis – T 060) minus  800 cent (gis - T 31) =  -8/6 von 20.529 cent
   696.5785 ( g  - T 060) minus  700 cent ( g  - T 31) =  -1/6 von 20.529 cent
   579.4710 (fis – T 060) minus  600 cent (fis - T 31) =  -6/6 von 20.529 cent
   503.4215 ( f  - T 060) minus  500 cent ( f  - T 31) =  +1/6 von 20.529 cent
   386.3140 ( e  - T 060) minus  400 cent ( e  - T 31) =  -4/6 von 20.529 cent
   310.2645 ( es – T 060) minus  300 cent ( es - T 31) =  +3/6 von 20.529 cent
   193.1570 ( d  - T 060) minus  200 cent ( d  - T 31) =  -2/6 von 20.529 cent
    76.0495 (cis – T 060) minus  100 cent (cis - T 31) =  -7/6 von 20.529 cent

Ratte, Seite 161: "Wegen der leichten Einstimmbarkeit ... ist zweifellos die 1/4-Komma-Temperatur am leichtesten zu handhaben, weil die reinen großen Terzen jeweils Kontrolle für die Richtigkeit der temperierten Quinten herangezogen werden können".

Auf Seite 219 wird von Ratte eine Temperatur beschrieben unter dem Titel "Lemme Rossi, 1666 (Approximation der 1/4-Komma-Temperatur durch arithmetische Teilung des Kommas), die im Ergebnis dieselbe Intervallverteilung wie die "Großterz-Mitteltönigkeit" hat.

Auf Seite 265 bezieht sich Ratte auf >De iusta monochordi dimensione, das Cap. II der in Erfurt,1590 heraus gekommenen Arbeit 'Nova et exquisita monochordi dimensio'<: "Schneegaß ist der erste, dem eine exakte Monochordteilung der 1/4-Komma-Temperatur gelingt, indem er die mitteltönige Quinte durch den Wert 160/107 (696.553 Cent) rational approximiert ... Er gewinnt alle Töne der Quintkette es-...-gis als Unterquarten." (siehe T 123 >rationale Approximation< und T 124 >geometrische Approximation<

Wolfgang Theodor Meister: Die Orgelstimmung in Italien und Süddeutschland, 1991

„Zur Terminologie“ unterscheidet Meister „Offene Temperaturen“ (>Wolfsquinten< enthaltend) und „geschlossene Temperaturen“ (keine >Wolfsquinten enthaltend), beide mit den Untersystemen „regelmäßige“, „halbregelmäßige“ und „unregelmäßige“ Stimmungen. Wegen der gleichmäßigen Verteilung der Quintenverkleinerungen auf elf Quinten des Quintenzirkels - die zwölfte ist die Ausgleichsquinte - zählt die 1/4-sK-Temperatur nach der Terminologie von Meister zu den "offenen regelmäßigen Temperaturen": „Offene Regelmäßige oder reguläre Systeme enthalten neben einer oder zwei Wolfsquinten zehn oder elf gleiche Quinten (z.B. alle mitteltönigen Stimmungen)". (Seite 14)

Diese musikalische Temperatur gilt als die "Referenz-Stimmung der Mitteltönigkeit", auf sie wird immer wieder Bezug genommen, wenn der Begriff "mitteltönige Stimmung" gebraucht wird und solange nicht mit Zusätzen ausdrücklich andere Intervallgrößen gemeint sind.

 

In dieser „Großterz-Mitteltönigkeit“ oder „1/4-Komma-Temperatur“ (sK) sind acht Großterzen mit 386.314 Cent 5/4-rein und damit um 1/3 des „kleine Diesis-Intervalls“ kleiner als die gleichstufig temperierte Großterz (400 minus 41.058/3), die restlichen vier Großterzen sind mit 427.372 Cent um 2/3 dieses Intervalls größer (400 plus 2x41.058/3).

 

Franz Josef Ratte: die Temperatur der Clavierinstrumente, 1991

"Eine schwebungsfreie, reine Terz erfordert die Reduktion jeder Quinte um 1/4 des syntonischen Kommas." (Seite 150) Im Zusammenhang der von ihm als "regelmäßige Temperaturen" bezeichneten Systeme, "in denen mit Ausnahme der Restquinte alle Quinten um denselben Wert reduziert sind", weist er darauf hin, dass der Mittelton-Ganzton genau zwischen dem großen und dem kleinen Ganzton des Quint-Terz-Systems liegt - daher die Bezeichnung "mitteltönig" - , nicht aber, dass die vier großen Terzen h-es, fis-b, cis-f und gis-c jeweils um das 128/125-Intervall (kleine Diesis mit 41.059 cent) zu groß sind.

Wilhelm Dupont: Geschichte der musikalischen Temperatur, 1935

Dupont schreibt (Seite 33): "Da der temperierte Ganzton zwischen dem ursprünglich großen und kleinen zu liegen kommt und wir es nach den Worten der italienischen Theoretiker mit einem >mezzo tuono participato< zu tun haben, erhielt dieses System den Namen >mitteltönige Temperatur<"

Martin Vogel: Die Lehre von den Tonbeziehungen, 1975

Vogel erklärt (Seite 230): "Die Mitteltonstimmung kann verstanden werden als eine Quintenkette von 11 mitteltönigen Quinten zu 696,5 cent (=MQ) ... Die >Quinte< gis - es ist um knapp 36 cent zu groß: Die >Wolfsquinte< der Mitteltontemperatur heult mit knapp 738 cent."

Manfred Tessmer: Wie war Bachs Wohltemperirtes Clavier gestimmt?, 1994

Tessmer nach dem Vorbild Kirnbergers eine Tabelle für die "Mitteltönige Stimmung" mit auf eine Dezimalstelle gerundeten Cent-Zahlen so eingerichtet, dass "sämtliche in einer 12stufigen Oktavteilung möglichen Intervalle ohne weitere Rechnungen sofort ablesbar" sind (Seite 196). Außerdem sind in einer Kopfleiste die Kommaverteilung und die Lage der Quinten mit genauen Cent-Zahlen angegeben.

Die Tabelle „Mitteltönige Stimmung“ (Seite 196) hat die Kopfzeilen:
„11 um ¼ des syntonischen Kommas verkleinerte Quinten (696.578 C).  
„Wolfsquinte“: Gis-Dis (737.637 C)

Herbert Anton Kellner: Wie stimme ich selbst mein Cembalo?, 1979

Der Abschnitt (Seite 23ff) „Die Mitteltönigkeit“ beginnt mit „Die mitteltönige Stimmung bietet das mögliche Maximum an reinen Großterzen, und zwar nicht weniger als acht!“ Von möglichen anderen mitteltönigen Temperierungen (siehe Inhaltsverzeichnis dieser Studie) ist weder hier noch an anderer Stelle bei Kellner die Rede.

 

(Seite 31): „Der Versuch, den Unterschied dieser beiden Ganztöne von 9/8 und 10/9 auszugleichen, führt zwangsläufig zur mitteltönigen Temperatur, wenn der große und der kleine Ganzton gemittelt wird. Man multipliziert deren Proportionen (Intervallquotienten) und zieht daraus die Quadratwurzel als geometrisches Mittel“

                                (9/8 x 10/9)1/2  = (5/4)1/2 = 51/2/2 (mitteltöniger Ganzton)

Von der Oktavlage wird dieses Tonintervalles in zwei gleiche Intervalle geteilt mit demselben Rechenweg:            (2/1 x 51/2/2)1/2 = (51/2)1/2 =  51/4  (mitteltönige Quinte)

Zur Addition von vier mitteltönigen Quinten multipliziert man viermal den „Quotienten“ 51/4, das Tonintervall wird aus der doppelten Oktavlage in die Ausgangsoktave gebracht:

                        (51/4 x 51/4 x 51/4 x 51/4) : 2/1 : 2/1 = 54/4 : 4 = 5/4 (mitteltönige Großterz)

 

Kellner beginnt seine Stimmanweisung für die Großterz-Mitteltönigkeit unter der Überschrift „Das Legen der mitteltönigen Temperatur“ mit:

„Sobald die mitteltönige reine Großterz f0 – a0 in vier gleiche mitteltönige Quinten geteilt hat, hat man bereits die >Basis< dieser Temperatur gelegt (Seite 29) ... Die Quinten f-c und g-d schweben etwa 1.5mal so schnell wie c-g und d-a, die oberen in jedem der beiden Quintenpaare "um eine Spur von 10%" schneller. Dazu "wählt man nach dem Gefühl einen goldenen Mittelweg" zwischen gleichschnellem und halb so schnellem Schwebungsverhältnis der unterschwebenden Quinten c-g und f-c. "Die gewünschte Teilung ergibt sich in jedem Fall mit etwas Geduld und nach einiger Übung ohne besondere Schwierigkeiten. Hat sich (beim Temperieren) dieser Zufall nicht ergeben (die erste Quint zufälliger Weise richtig getroffen), so muß man dem Glück durch Ausdauer nachhelfen ...“ (Seite 28, mit dieser von ihm selber „Probierverfahren“ genannten Methode stimmt Kellner ungleichschwebend. siehe T 33)

Auf diese Weise weist Kellner den Weg von den Tonstufen f und a zu den Tonstufen  c, g und d. Die restlichen sieben werden durch reine 5/4-Großterz-Schritte aufwärts von c nach e, g nach h, d nach fis, a nach cis und e nach gis, abwärts von d nach b und g nach es erreicht.

 

Die "Schlicksche Temperatur" (siehe T 15) aus dem Jahre 1511 hat bis auf die Tonstufe "gis" exakt dieselben Werte. Während die Großterz-Mitteltönigkeit nur eine Ausgleichsquinte gis-es kennt, ist bei Schlick der Ausgleich auf die beiden benachbarten Quinten cis-gis und gis-es gleichmäßig verteilt.