T 80

Erlangener  Teilungsvorschrift

Diese Temperatur ist aufgebaut aus neun reinen 3/2-Quinten und drei weiteren Quinten, in denen das pythagoreische Komma ( pK: 531441/524288, umgerechnet 23.46 cent) ausgeglichen wird. Das pK wird so zerlegt, dass die Quinte a-e um ein Diaschisma verkleinert ist (2048/2025, umgerechnet 19.55257 cent) und der Rest des Kommas zu gleichen Teilen auf die Quinten g-d und h-fis verteilt wird.

MEISTER schreibt (Seite 33): "Die Erlangener Teilungsvorschrift zielt auf reine große Terzen über C, G, D und A ab", dazu gibt er ein Quint-/Terz-Schema, in dem horizontal reine 3/2-Quintschritte und vertikal reine 5/4-Terzschritte von Tonstufe zu Tonstufe führen [Anstelle der Tonstufen "ges, des, as und es" nennt MEISTER "fis, cis, gis und dis". Wegen der Systematik von sechs aufeinander folgenden absteigenden reinen Quinten von c bis ges wird im Tabellenteil die auch von RATTE (1991) gewählte Nomenklatur benutzt):

                                                          E  -  H
                                                          !     !
              Fis  -  Cis  -  Gis  -  Dis  -  B  -  F  -  C  -  G
               !       !                                         
               D   -   A                                          

Die Tonintervall-Quotienten sind:
                                                          5  _ 15
                                                          4     8
                                                          !     !
             1024  _  256  _  128  _  32  _  16  _  4  _  1  _  3
              729     243      81     27      9     3     1     2
               !       !                                          
             4096  _  2048                                        
             3645     1215                                        

Die Stimmanweisung lautet: "Von H als dem tiefsten Ton der Klaviatur ausgehend werden dabei vier reine Terzen so eingestimmt, daß eine um das Diaschisma verminderte Wolfsquinte über A und zwei jeweils um ein Schisma zu kleine Quinten über G und H entstehen. Legt man den Wolf auf H-Fis, entstehen über A und Cis die beiden gleichstufig temperierten Quinten."

Der von Meister beschriebene „Wolf“ ist das um ein Diaschisma geminderte Quintintervall, die beiden je um die Hälfte des Restes vom pythagoreischen Komma (pK) verkleinerten Quinten g-d und h-ges haben die Größe der Quinten des gleichstufigen Systems (siehe T 31)  
            Pyth.Komma   minus   Diaschisma   gleich   „Schisma“ zweimal           
              312/219     :    211/52x34    =    (5x38/215)2   
     23.46001 cent - 19.55257 cent  =  1.95372 cent x 2

RATTE (1991): „ ... die gleiche Methode der Monochordteilung (wie beim Erlanger Traktat) finden wir etwa zur selben Zeit in der >Musica Practica< des Spaniers Ramis de Pareia, 1482“  und macht „eine interessante Feststellung: Das nach den Konstruktionsanweisungen des Erlanger Anonymus angefertigte Quint-Terz-Diagramm ... gleicht auffallend den Diagrammen, die sich auf eine chromatische Skala in pythagoreischer Stimmung bezogen und deren Charakteristika neben der >Wolfsquinte< die vier Terzen vom Wert 384 C waren, die sich nur um ein Schisma von den reinen Terzen unterscheiden.“ (Seite 118)

Der Vergleich der musikalischen Temperaturen zeigt, dass die "Erlanger Teilungsvorschrift" im Prinzip gebaut ist wie die "pythagoreische Quintkette fes-a" (siehe T 106), die des „Ramis de Pareia“ (siehe T 107) im Prinzip wie die "pythagoreische Quintkette eses-g" (siehe T 108).

Ratte zeigt für das „Erlanger Traktat ´Pro clavichordiis faciendis´, zwischen 1454 und 1480“ diverse Intervalltabellen und ein Quint-Terz-Diagramm „zur graphischen Veranschaulichung von Stimmungssystemen zwecks besserer Vergleichsmöglichkeiten“ (Seite 116), auf Seite 115 weist er darauf hin, dass „durch das Nebeneinander von reinen Quinten und reinen Terzen vier verschieden große Halbtonschritte“ entstehen:

       In chromatischer Folge werden                                                       In derReihenfolge des

       zum Aufbau der Temperatur als                                                    Quintenzirkels wird die

        Intervallquotienten verwendet:                                                   Temperatur so aufgebaut:

 

     Apotome -1287/2048 -  113.685 cent                                                       

diat Halbton -  16/15   -  111.731 cent                       32805/32768  (Schisma)           

  gr. Chroma - 135/128  -   92.179 cent                                                       

      Leimma - 256/243  -   90.225 cent                        2048/2025  (Diaschisma)         

 

    15/8   x   16/15    =    2/1      (c)       4/3   x 3/2 :      2          =    1/1     (c) 

    16/9   x  135/128   =   15/8      (h)      16/9   x 3/2 :      2          =    4/3     (f) 

  2048/1215x  135/128   =   16/9      (b)      32/27  x 3/2 :                 =   16/9     (b) 

   128/81  x   16/15    = 2048/1215   (a)     128/81  x 3/2 :      2          =   32/27    (es)

     3/2   x  256/243   =  128/81    gis)     256/243 x 3/2                   =  128/81   (gis)

  1024/729 x 2187/2048  =    3/2      (g)    1024/729 x 3/2 :      2          =  256/243  (cis)

     4/3   x  256/243   = 1024/729  (fis)      15/8   x 3/2 : 32805/32768 : 2 = 1024/729  (fis)

     5/4   x   16/15    =    4/3      (f)       5/4   x 3/2                   =   15/8     (h) 

    32/27  x  135/128   =    5/4      (e)    2048/1215x 3/2 :  2048/2025  : 2 =    5/4     (e) 

  4096/3645x  135/128   =   32/27    (es)    4096/3645x 3/2 :                 = 2048/1215  (a) 

   256/243 x   16/15    = 4096/3645   (d)       3/2   x 3/2 : 32805/32768 : 2 = 4096/3645  (d) 

     1/1   x  256/243   =  256/243  (cis)       1/1   x 3/2                   =    3/2     (g) 

 

Martin Vogel: Die Lehre von den Tonbeziehungen, 1975

Über die Verwendung der Temperatur „Erlangener Teilungsvorschrift“ (auch als „Erlangener Traktat“ bezeichnet) in der musikalischen Praxis liest man bei Vogel in „Die Lehre von den Tonbeziehungen“ auf Seite 239 : „Das unbegrenzte Modulieren in allen Tonarten ist keine Errungenschaft der gleichstufigen Temperatur, sondern war bereits mit einer Quint-Stimmung wie dem >Erlangener Monochord< gegeben ... Bach stimmte mit Sicherheit ungleichschwebend temperiert, aller Wahrscheinlichkeit nach im Sinne der Stimmanweisung, die sein Schüler Kirnberger mitteilte und die in elf Tönen identisch ist mit dem >Erlangener Monochord<.“