T 121

Elias  Nikolaus  Ammerbach,  1571,  1583  (Interpretation 1)

Franz Josef Ratte: Die Temperatur der Clavierinstrumente, 1991

„Ammerbach gibt (in der ersten Auflage 1571) lediglich an, welche Intervalle er temperiert, vergrößert oder verkleinert haben will ... Über den Grad der Verstimmung sagt er nichts aus ... Offenbar standen Ammerbachs Zeitgenossen dieser Stimmanweisung ebenso ratlos gegenüber wie der heutige Leser.“ Ratte nutzte die etwas klareren Formulierungen der zweiten Auflage von 1583 für eine "praktische Stimmanweisung für eine unregelmäßige Temperatur mit harmonischbrauchbaren Terzen". (Seite 260)

Mit der Voraussetzung, Ammerbach strebt acht harmonisch verwendbare Großterzen einheitlicher Qualität an, begründet Ratte die „Interpretation 1“ der Stimmanweisungen für diese Temperatur: „Der einheitliche Wert der acht Terzen muß sich nach f-a richten ... Hätte Ammerbach wirklich eine solche Temperatur ... im Sinn gehabt, hätte er seine Stimmanweisung bei insgesamt sechs reinen Quinten wesentlich vereinfachen können ... Gegen diese Interpretation sprechen die zusätzlich abfallenden reinen Quinten“

Ratte stellt als eines der Temperaturmodelle aus dem Zeitraum um 1600, in dem sich die mitteltönige Temperatur etablierte, diese Stimmanweisung vor (Seite 389): "Ammerbach verlangt keine reinen Terzen, sondern lediglich harmonisch brauchbare. Durch die Einstimmung von zwei reinen Quinten vereinfacht sich der Stimmvorgang. Insgesamt nähert sich das Bild dieser Temperatur bereits dem der mitteltönigen Stimmung mit einer Wolfsquinte und vier Wolfsterzen."

Aus den gegebenen Halbton-Intervallen lassen sich alle Tonstufen berechnen:

                  h  1097.775 + 102.225 = 1200.000   c

                  b  1002.090 +  95.685 = 1097.775   h

                  a   893.865 + 108.225 = 1002.090   b

                gis   791.640 + 102.225 =  893.865   a

                  g   701.955 +  89.685 =  791.640   gis

                fis   593.730 + 108.225 =  701.955   g

                  f   498.045 +  95.685 =  593.730   fis

                  e   395.820 + 102.225 =  498.045   f

                dis   300.135 +  95.685 =  395.820   e

                  d   197.910 + 102.225 =  300.135   dis

                cis    89.685 + 108.225 =  197.910   d

                  C     0.000 +  89.685 =   89.685   cis

Drei verschieden große Quintintervalle ergeben sich:

  Quinte       gegeben       reine Quinte      Kommateile

            f – c        701.955     =    701.955   +/–  0.0

            b – f        695.955     =    701.955       6.0   (2200)

           es – b        701.955     =    701.955   +/–  0.0  

          gis – es       708.495     =    701.955    +   6.540 (21/40- pK)

          cis – gis      701.995     =    701.955   +/–  0.0   

          fis – cis      695.955     =    701.955       6.0   (2200) 

            h – fis      695.995     =    701.955       6.0   (2200)

            e – h        701.955     =    701.955   +/–  0.0   

            a – e        701.995     =    701.955   +/–  0.0   

            d – a        695.955     =    701.955       6.0   (2200)

            g – d        695.955     =    701.955       6.0   (2200)

            c – g        701.955     =    701.955   +/–  0.0  

die 3/2-reine Quinten f-c-g, a-e-h, cis-gis und es-b bleiben  unverändert,
die Quinten g-d-a, h-fis-cis und b-f sind 6.0 cent kleiner als die reine Quinte,
die Quinte (Ausgleichsquinte) gis-es ist 6.540 cent größer als die reine Quinte.

Auch weil nicht bekannt gemacht ist, wie diese Zahlen aus der Stimmanweisung gewonnen wurden, ist für diese Temperatur hier zusätzlich eine Approximation an die bekannte und gängige Kommaverteilung zwecks besserer Vergleichsmöglichkeiten mit anderen musikalischen Temperaturen dargestellt.

Bei der Quotientenberechnung ist für die Temperierung der Quinten g-d-a, h-fis-cis und b-f der Faktor 21/200 = 6 cent benutzt, für die Ausgleichsquinte gis-es errechnete sich >21/40 - pK< = 30.000 cent - 23.460 cent= 6.540 cent.

Mit der Ausgleichsquinte gis-es und der Verteilung der Quintenreduzierung im gesamten Quintenzirkel ist diese Temperierung beim "Stimmtyp mitteltönig " einzuordnen.

Ratte (1991) beantwortet die selbstgestellte Frage, "ob Ammerbach acht harmonisch verwendbare Großterzen einheitlicher Qualität anstrebt oder ob er durch eine geringere Verschärfung einiger Terzen bevorzugt behandelt haben will", indem er beide Möglichkeiten gleichberechtigt behandelt mit einer "Interpretation 1": Diese "nimmt als ersten Fall an: Der einheitliche Wert der acht harmonisch verwendbaren Großterzen muss sich dann nach der Terz  f-a  richten, die wiederum vom Temperierungsgrad der beiden Quinten g-d und d-a abhängt ..." (In Rattes "Intervalltabelle 33, Zeile >gr. Terz<" zu dieser Temperatur finden sich allerdings nur sieben 395.820-Großterzen und fünf weitere mit Werten von über 400 cent, von denen keiner zu den "harmonisch brauchbaren " gezählt werden kann, ist doch schon die 395.820-Terz um 9.505 cent größer als die 5/4-Terz mit 386.135 cent.)

Die von Ratte in der Intervalltabelle (Seite 412) gegebenen Zahlen der Kommateile sind identisch mit denen, die (1991) in der T 122 (Ammerbach, Interpretation 2) ausgewertet wurden, dort allerdings „auf Ganze gekürzt“ sind, wodurch die Größe der Ausgleichsquinte gis-es von 16.6175 cent rechnerisch auf 17.540 cent wächst.