T 122

Elias  Nikolaus  Ammerbach,  1571,  1583  (Interpretation 2)

RATTE (1991) beantwortet die selbstgestellte Frage, "ob Ammerbach acht harmonisch verwendbare Großterzen einheitlicher Qualität anstrebt oder ob er durch eine geringere Verschärfung einiger Terzen bevorzugt behandelt haben will", indem er beide Möglichkeiten gleichberechtigt behandelt mit einer "Interpretation 1" (siehe T 121, auch eine approximierte Kommaverteilung T 50) und einer "Interpretation 2"

Zur zweiten Lösung schreibt er auf Seite 262: Das Quint-Terz-Diagramm für die Interpretation 2 geht "von unterschiedlichen Großterzen aus, wobei die für die Kadenzierung wichtigen Terzen c-e, g-h, d-fis, a-cis und e-gis bevorzugt behandelt werden. Obwohl die Möglichkeit der Transposition in alle Tonarten hierbei verlorengeht, scheint diese Lösung wohl am ehesten Ammerbachs Intentionen zu entsprechen."

Bereits 1990 stellte Ratte diese musikalische Temperatur mit einer Stimmanweisung aus dem Zeitraum um 1600 vor, in dem sich die mitteltönige Temperatur etablierte (Seite 389): "Ammerbach verlangt keine reinen Terzen, sondern lediglich harmonisch brauchbare. Durch die Einstimmung von zwei reinen Quinten vereinfacht sich der Stimmvorgang. Insgesamt nähert sich das Bild dieser Temperatur bereits dem der mitteltönigen Stimmung mit einer Wolfsquinte und vier Wolfsterzen."

Auch weil nicht bekannt gemacht ist, wie die Zahlen aus der Stimmanweisung gewonnen wurden, ist für diese Temperatur in der Beschreibung der Temperatur T 50 zusätzlich eine Approximation an die bekannte und gängige Kommaverteilung zwecks besserer Vergleichsmöglichkeiten mit anderen musikalischen Temperaturen dargestellt.

Wie genau die Annäherung gelungen ist bzw. welche Unterschiede im Detail bestehen macht ein Vergleich der Zahlen und der Diagramme der beiden Präsentationen T 50 und T 122 deutlich.

Franz Josef Ratte: Temperierungspraktiken im süddeutschen Orgelbau, 1990

Seite 261: „Ammerbach gibt lediglich an, welche Intervalle er temperiert, vergrößert oder verkleinert haben will ... Über den Grad der Verstimmung sagt er nichts aus ... Offenbar standen Ammerbachs Zeitgenossen dieser Stimmanweisung ebenso ratlos gegenüber wie der heutige Leser.“ Etwas klarer als aus dem Jahre 1571 sind die Formulierungen aus 1583. (Seite 260)

Die von Ratte (1990) in der Intervalltabelle (Seite 412) gegebenen Zahlen der Kommateile (siehe T 50) sind identisch mit denen, die 1991 die „Interpretation 2“ ausgewertet wurden, dort allerdings „auf Ganze gekürzt“ sind, wodurch die Größe der Ausgleichsquinte gis-es von 16.6175 cent rechnerisch auf 17.540 cent wächst.

Außerdem nennt Ratte (1991) eine „Interpretation 1“ (siehe T 121) mit ebenfalls auf Ganze gekürzten Kommateilen, die sich jedoch wesentlich von den bereits genannten Ammerbach-Temperaturen unterscheidet: Die für die Gruppe der „mitteltönigen Temperaturen“ charakteristische überschwebende Ausgleichsquinte ist mit 6.54 cent deutlich weniger gemindert.