T 126

Andreas  Reinhard,  1604  -  Abraham  Bartulus,  1614

Die in dieser Temperatur vorkommenden Quintenverminderungen sind außer in dieser Temperatur "Reinhard/Bartulus" auch in zwei anderen Temperaturen der hier untersuchten Temperaturen-Sammlung benutzt, bei "Ganassi" (T 29) und "Malcolm" (T 30):

                                    81/80 (sK), 136/135, 153/152, 171/170 und 256/255.

Bei allen fünf Intervallquotienten ist die Zahl im Zähler um 1 größer als die im Nenner, weshalb diese Brüche auch "überteilige Proportionen" genannt werden, im Barock als "ratio superpartikularis" bezeichnet.

Solche Tonquotienten kommen auch in den Temperaturen "Kirnberger 2.Fassung" (T 23) und "Kirnberger 3.Fassung" (T 24) vor, wenn die Tonintervall-Quotienten, die bei einer Intervallverteilung auf der Grundlage einer Komma-Teilung entstehen, durch ganzzahlige Intervall-Quotienten ersetzt werden.

Temperaturen mit ganzzahligen Tonschwingungs-Verhältnissen heißen "reine Temperaturen", unabhängig von der Zahl der dabei entstehenden reinen Quinten in der Folge des Quintenzirkels.

LANGE vergleicht die Konstruktion der Kirnbergerschen dritten Temperaturfassung (T 24rat.) mit der von Ganassi (T29) und Malcolm (T 30):

Kirnberger verwendet bei den vier im Quintenzirkel benachbarten Quinten c-g-d-a-e Quotienten mit "überteiligen Proportionen", deren Produkt genau das syntonische Komma ergibt.
Ganassi (178 Jahre später auch Malcolm) baut - "ein ebenso genialer mathematischer Einfall" - ebenfalls aus Quotienten mit "überteiligen Proportionen" eine musikalische Temperatur, im Unterschied zu Kirnberger aber in der chromatischen Tonfolge.

Benutzt werden die fünf Quotienten 16/15,  17/16,  18/17,  19/18  und  20/19:

15/8   x  16/15  =   2/1      (c)
30/17  x  17/16  =  15/8      (h)
 5/3   x  18/17  =  30/17     (b)
30/19  x  19/18  =   5/3      (a)
 3/2   x  20/19  =  30/19   (gis)

24/17  x  17/16  =   3/2      (g)
 4/3   x  18/17  =  24/17   (fis)

 5/4   x  16/15  =   4/3      (f)

45/38  x  19/18  =   5/4      (e)
 9/8   x  20/19  =  45/38   (dis)

18/17  x  17/16  =   9/8      (d)
 1/1   x  18/17  =  18/17   (cis)

Bei der Erstellung der Quotienten in der Folge des Quintenzirkels kommen ebenfalls fünf Quotienten mit "überteiligen Proportionen" zur Anwendung: 136/135,  153/152,  171/170,  256/255  und  81/80 (das sK).

Bei der Berechnung ist zu beachten, daß in dieser Temperatur zwei Quinten vergrößert (Multiplikation der Quotienten) und drei vermindert vorkommen (Division bei den Quotienten); die Division durch die Zahl 2 ist insgesamt siebenmal notwendig, um die Intervallproportionen innerhalb der Stimmoktave zu halten:

 4/3   x  3/2              :  2  =   1/1     (c)
30/17  x  3/2  x  136/135  :  2  =   4/3     (f)
45/38  x  3/2  :  153/152        =  30/17    (b)
30/19  x  3/2              :  2  =  45/38   (es)
18/17  x  3/2  :  171/170        =  30/19  (gis)
24/17  x  3/2              :  2  =  18/17  (cis)
15/8   x  3/2  x  256/255  :  2  =  24/17  (fis)
 5/4   x  3/2                    =  15/8     (h)
 5/3   x  3/2              :  2  =   5/4     (e)
 9/8   x  3/2  :   81/80         =   5/3     (a)
 3/2   x  3/2              :  2  =   9/8     (d)
 1/1   x  3/2                    =   3/2     (g)

Bis auf die drei Tonstufen „Halbton“, „Ganzton“ und „kleine Terz“ ist die  Temperatur „Reinhard/Bartulus“ identisch mit der von „Ganassi“ (siehe T 29) beschriebenen.

>Dem damaligen Zeitgeist entsprechend bildet die Grundlage aller Theorien das geozentrische Weltbild des Ptolemaios (zitiert nach RATTE, Seite 276). Den sieben Planeten, die sich in von Gott wohl proportionierten Bahnabständen von der Erde aufwärts gegen die Höhe des Himmels bewegen, werden die sieben Töne der Oktave zugeordnet. Der Ton E entspricht der Erde, dem Zentrum des Systems. Folglich muss E auch der Zentralton des Tonsystems sein...

Zur Berechnung der Stimmung ... teilt er die gesamte Länge der Saite in 48 gleiche Teile und weist jedem der 36 Töne eine Maßzahl zu.<

Ein "Catalogus tonorum & semitonorum" (Seite 277) nennt die oben gezeigten Halbtonverhältnisse.

Die beiden Verkleinerungs-Tonintervalle 153/152 und 171/170 haben zusammen die Größe des syntonischen Kommas 81/80, die beiden Intervalle 136/135 und 256/255 zusammen die Größe des Diaschismas 2048/2025.

Deshalb kann man die Temperaturen T 29, T 30 und T 126 als "nach demselben Prinzip konstruiert, jedoch modifiziert" im Zusammenhang mit der Temperatur "Die natürlich-harmonische Terzenstimmung" (T 25) sehen.