T 013

Pythagoreische  Stimmung  (Quintkette  a  - cis)

Wilhelm Dupont: Geschichte der musikalischen Temperatur, 1935

"Die älteste der in der europäischen Musikgeschichte angewandten bekannten Stimmungsweisen ist nach Pythagoras benannt, dem großen Philosophen und Mathematiker des griechischen Kulturkreises im 6. Jahrhundert v.Chr., ... Pythagoras legte seinen Berechnungen das Intervall der Quinte zugrunde, das sich vor allen anderen nach der Oktave besonders auszeichnet." (Seite 2) Die vier chromatische Tonstufen fis/ges, cis/des, gis/as und dis/es bleiben bei Dupont unerwähnt, die Lage der Ausgleichsquinte ist nicht festgelegt, in der musiktheoretischen Literatur wird deren Position häufig zwischen gis und es im Quintenzirkel genannt.

"Systeme dieser Art sind natürlich überhaupt keine Temperaturen, obwohl sie gewöhnlich für solche ausgegeben worden sind. Es handelt sich nicht um Temperaturen im eigentlichen Sinne, sondern um eine Auswahl rein gestimmter Werte, denn anstatt eine Ausgleichung der Kommaunterschiede anzustreben, wurde unter Berücksichtigung dieser Unterschiede eine kleine Anzahl vollkommen reiner Werte genommen.“ (Seite 65)

Mit „pythagoreisch“ werden in der musikalischen Literatur die Stimmungen bezeichnet, wenn in ihnen mit elf 3/2-reinen Quinten in Folge die Lage von zwölf Tonstufen festgelegt werden. Die zwölfte Quinte ergibt sich zwischen der zwölften und der um ein Oktavintervall höher gelegten ersten Tonstufe. Das Tonintervall, um welches diese Quinte kleiner ausfallen muss, ist als „pythagoreisches Komma“ benannt nach dem griechischen Philosophen Pythagoras, der es bereits vor 2500 Jahren beschrieb, für den „die Zahl gilt als das einzig Feststehend-Gültige im Fluß des Werdens und Vergehens, die in Harmonie geordneten Zahlenverhältnisse bestimmen den Kosmos wie auch den Menschen“ (Duden, ISBN 3-411-02210-8 Seite 452).

Martin Vogel: Die Lehre von den Tonbeziehungen, 1975

Vogel beschreibt auf Seite 230 die pythagoreische Quint-Stimmung: "besteht aus 11 reinen Quinten und einer 12. Quinte, die um ein pythagoreisches Komma (Quintkomma) zu 24 cent von der Reinheit abweicht. Bei einer Skala (Seite 252), auf der alle Quinten im reinen 3/2-Abstand von as bis gis aufgeführt sind, differieren die beiden Endpunkte genau um das pythagoreische Komma:

Hans-Joachim Schugk:

Praxis barocker Stimmungen und ihre theoretischen Grundlagen, 1980

Schugk weist im Text darauf hin: "Die pythagoreische Stimmung stellt die radikalste Lösung der Aufteilung des Pythagoreischen Kommas dar: Elf Quinten bleiben rein, eine Quinte trägt dessen gesamte Last." Im Tabellenteil (Seite 41) wird durch den "Faktor" - so bezeichnet Schugk die "Dezimalzahl" - deutlich, daß die Quintkette gis-es gemeint ist.

Helmut K.H. Lange:

Ein Beitrag zur Musikalischen Temperatur der Musikinstrumente, 1968

Unter der Überschrift "Die pythagoreische Quintenstimmung" beschreibt Lange (Seite 482): "Da zwölf reine Quinten die siebte Oktave um das pythagoreische Komma überragen, so ist die Quinte As-Es um eben dieses Komma zu eng und erhält 678.495 Cents.“ Dieses „Urbild einer musikalischen Stimmung ... entsteht durch eine Quinten-Schichtung von elf Quinten, wobei dann die zwölfte Quinte As-Es von selbst entsteht durch Schließung des Zirkels von sieben Oktaven ... primitiver, einfacher geht’s wirklich nicht mehr, als elf reine Quinten einzustimmen.“

Franz Josef Ratte: Die Temperatur der Clavierinstrumente, 1991

Franz Josef Ratte: Die Temperatur der Clavierinstrumente, 1991

Seite 95ff: „ Die zunehmende Mehrstimmigkeit im 14. und 15. Jh. brachte eine Erweiterung des Tonsystems (eine von Boethius, etwa 480-525 mitgeteilte diatonische Monochordteilung, Seite 65) durch chromatische Zwischenstufen mit sich ... Die siebengliedrige Quintkette  b-f-c-g-d-a-h, die der Konstruktion der diatonischen pythagoreischen Skala zugrunde liegt, muß um vier reine Quinten erweitert werden. ... Die sieben Möglichkeiten, ein Tasteninstrument mit chromatischer Klaviatur zu stimmen, lassen sich ... anschaulich darstellen und bzgl. der Lage der „Wolfsquinten“ und der fast reinen Terzen gut miteinander vergleichen (zu beachten sind die „enharmonischen Verwechselungen“ bei den Tonnamen): 

 

                                     I            ces  ges  des  as  es  b  f  ...  a  e

        (siehe T 101)        II                  ges  des  as  es  b  f  ...  a  e  h

        (siehe T 102)        III                        des  as  es  b  f  ...  a  e  h  fis

        (siehe T 103)       IV                                as  es  b  f    a  e  h  fis  cis

        (siehe T 13)         V                                       es  b  f    a  e  h  fis  cis  gis

        (siehe T 104)       VI                                           b  f    a  e  h  fis  cis  gis  dis

        (siehe T 105)        VII                                             f    a  e  h  fis  cis  gis  dis  ais

 

„Zur Einstimmung der neu hinzugekommenen Semitonien muß das pythagoreische System ausgedehnt werden. Die siebengliedrige Quintkette b-f-c-g-d-a-e-h, die der Konstruktion der  diatonischen pythagoreischen Skala ... zugrunde liegt, muß um vier reine Quinten erweitert werden ... Da sich der Zirkel der reinen Quinten nicht schließt, ... ergibt sich als Restintervall eine unreine, sogenannte >Wolfsquinte<, die um das pythagoreische Komma kleiner ist als die reine Quinte. – Die sieben Möglichkeiten, ein Tasteninstrument mit chromatischer Klaviatur pythagoreisch zu stimmen, lassen sichmit Hilfe ... der Lage der Wolfsquinten ... gut miteinander vergleichen.“ (Seite 96 und 98)

 

       In chromatischer Folge werden                                           In derReihenfolge des

       zum Aufbau der Temperatur als                                        Quintenzirkels wird die

        Intervallquotienten verwendet:                                         Temperatur so aufgebaut:

 

     Apotome -2187/2048 -  113.685 cent                                                       

                                                            531441/524288                     

                                                       (pythagoreisches Komma)                

      Leimma - 256/243  -   90.225 cent                                                       

 

   243/128 x  256/243   =    2/1      (c)      4/3   x 3/2 :      2          =    1/1     (c) 

    16/9   x 2187/2048  =  243/128    (h)     16/9   x 3/2 :      2          =    4/3     (f) 

    27/16  x  256/243   =   16/9      (b)     32/27  x 3/2 :                 =   16/9     (b) 

   128/81  x 2187/2048  =   27/16     (a)   6561/4096x 3/2 :531441/524288: 2 =   32/27    (es)

     3/2   x  256/243   =  128/81    gis)   2187/2048x 3/2                   = 6561/4096 (gis)

   729/512 x  256/243   =    3/2      (g)    729/512 x 3/2 :      2          = 2187/2048 (cis)

     4/3   x 2187/2048  =  729/512  (fis)    243/128 x 3/2 :      2          =  729/512  (fis)

    81/64  x  256/243   =    4/3      (f)     81/64  x 3/2                   =  243/128   (h) 

    32/27  x 2187/2048  =   81/64     (e)     27/16  x 3/2 :      2          =   81/64    (e) 

     9/8   x  256/243   =   32/27    (es)      9/8   x 3/2 :                 =   27/16    (a) 

  2187/2048x  256/243   =    9/8      (d)      3/2   x 3/2 :      2          =    9/8     (d) 

     1/1   x 2187/2048  = 2187/2048 (cis)      1/1   x 3/2                   =    3/2     (g) 

Wolfgang Theodor Meister: Die Orgelstimmung in Italien und Süddeutschland, 1991

Meister nennt die Intervallverteilung „pythagoreisch-rein“ (siehe T 57), in der das Komma-Intervall auf zwei Quinten verteilt ist, ein größerer Teil „syntonisches Komma“ und ein vom pythagoreischen Komma abgespaltener kleinerer Teil  „Schisma“ (Abspaltung).

In der musiktheoretischen Literatur ließen sich mehrere „pythagoreisch-reine“ Stimmungen (siehe T 01, T 57, T 80, T 107, T 119) finden, in denen vom pythagoreischen Komma Schisma-Teile abgespalten wurden und mehr als eine der zwölf Quinten des Quintenzirkels gemindert sind. Zum Aufbau der Intervallquotienten werden für diese Tonleitern drei oder vier unterschiedlich große Halbtöne benötigt.

Zum Unterschied zu diesen sollten als „Pythagoras-rein“ alle zwölf Stimmungen bezeichnet werden, in denen mit nur einer Ausgleichsquinte das gesamte pythagoreische Komma zurückgenommen wird, damit im Oktaven-Intervall die Intervall-Tonfrequenz exakt das Doppelte der Grundtonfrequenz ist und somit den Zirkelschluss beim Quintenzirkel zu erreichen. Zum Aufbau der Intervallquotienten werden für diese Tonleitern nur zwei unterschiedlich große Halbtöne benötigt.